Achtung, Sprachpolizei!

Story

Wir saßen beim Wirt’n ums Eck, Peter, Adele und ich. Nachdem die letzte Radtour abgehandelt worden war und Peter sich ausreichend über die Preissteigerung in der Gastronomie nach Corona ereifert hatte, landeten wir bei einem unserer Lieblingsthemen, dem Verfall der deutschen Sprache. Peter hat darüber sogar eine Geschichte auf story one geschrieben. “Nichtsdestotrottel”ist ihr Titel.

Während ich monierte, dass die meisten Leute scheinbar und anscheinend verwechseln, fing er plötzlich zu singen an. “Achtung, Achtung, Sprachpolizei!” Und so, als hätten wir es geprobt, fiel ich ein: “Ob richtig oder falsch, das ist nicht einerlei. Streng bemerkt der Sprachpolizist, was gegen die Gesetze der Grammatik ist.” Keineswegs von Nachteil war, dass die meisten Gäste schon im Garten saßen, ehe wir das Loblied auf die resoluten Sprachhüter anstimmten. “Doch dringt einmal ein Schuss an unser Ohr, dann ist es nur ein Schuss… Humor!“ Wir lachten und stellten mit unverhohlener Freude fest, dass Text und Melodie – abgesehen von ein paar kleinen Holperern – fehlerfrei in unseren Köpfen abgespeichert waren. Das Langzeitgedächtnis funktionierte scheinbar tadellos. Oder doch anscheinend?

“Achtung, Achtung, Sprachpolizei!” war die Kennmelodie einer gleichnamigen Sendung , die 26 Jahre lang – bis 1978 – jeden Sonntag im Radio lief. Ich glaube, zwischen Traummännlein und Acht-Uhr-Nachrichten (Sind Zeitzeugen anwesend, die dies bestätigen können? ). Zu Beginn der 1950er Jahre hatte sich Karl Hirschbold, ein Wiener Lehrer und Linguist, zum Sprachpolizisten der Nation aufgeschwungen und die schriftlichen Verfehlungen, die unter der Woche die Journalisten begingen, genüsslich seziert. Er war ein großer Verfechter der richtigen Zeitenfolge, des Konjunktivs und des 2. Falls. Würde Hirschbold heute noch leben, hätte er bestimmt in Bastian Sick, dem Verfasser des Buches “Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod”, einen Partner in crime gefunden.

Ich saß also damals mit großen Ohren vor dem Radio und fraß Hirschbolds Weisheiten löffelweise. Tatsächlich gelang es mir manchmal, mit den so erworbenen Grammatikkenntnissen meine Volksschullehrerin zu verblüffen. An ein Beispiel erinnere ich mich noch gut: “Butter kann durch nichts ersetzt werden.“ Finde den Fehler! Dieser grammatikalische Unfug kam Jahre später sogar als Werbeslogan des Salzburger Milchhofs in Umlauf und wird noch immer oft und gern falsch verwendet. Apropos Werbung: Da hätte der gute Herr Professor heute eine Menge zu tun. Von wegen: So muss Grammatik!

Ich gestehe: Im Laufe meines Lebens bin ich bei der Beurteilung des schludrigen Umgangs mit der Sprache um vieles großzügiger geworden. Hartnäckiges Negieren von diesbezüglichen Veränderungen macht alt, behaupte ich. Oder wie es Hans Magnus Enzensberger schon vor vierzig Jahren ausgedrückt hat: “Die Sprache ist immer lebendiger und jünger als ihre arthritischen Leibwächter.”

© 2021-07-05

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