Adieu et merci! Brief an eine Verstorbene

Stella

von Stella

Story

Liebe Patentante,

manche Dinge lassen sich nicht in drei Email-Zeilen sagen. Wie wir sie zwischen hier und Palliativstation tÀglich gewechselt haben. Deshalb ein etwas lÀngerer Brief. Vielleicht kann ihn Dir noch jemand im Hospiz vorlesen.

Was ich jetzt erst sah, als ich dieses Foto von uns in meinem Kinderalbum fand: Eigentlich habe ich drei MĂŒtter. Meine Mutter, meine Tante und Dich. Auch wenn ich gegen Deine Mutterschaft auf Zeit, als ich ein Jahr alt war, wohl so nachhaltig protestiert haben muss, dass Du mich an der RaststĂ€tte Steigerwald wieder an Papa ĂŒbergeben hast, der mich mit ins Zeltlager nach Bayern nahm. Dass Du Dich als Baby um mich gekĂŒmmert hast, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber so lange ich denken kann, warst Du Teil unserer Familie. Obwohl Du, als meine Erinnerung einsetzt, lĂ€ngst in Köln wohntest.

Woran ich mich erinnere: Dein grauer VW KĂ€fer, die Gitarre in Deinem Zimmer, Bilder von Pferden an den WĂ€nden. Mein Stolz, Dich als Patentante zu haben. Jemand, die nicht aus unserem StĂ€dtchen kam, die selbststĂ€ndig, unabhĂ€ngig und unverheiratet war, die Kinder mochte und unterrichtete, die noch einmal studierte und gerne BĂŒcher las.

Jemand, die sich fĂŒr mich interessierte, bei der ich nicht nur „die FĂŒnfte“ war. Die mir zum Geburtstag und Weihnachten WĂŒnsche erfĂŒllte: die roten Holzski mit Spiralbindung, mit denen ich allein unterm Sternenhimmel den Garten hinuntergesaust bin. Mein Lieblings-Halstuch in dunklen Herbsttönen, ohne das ich mich irgendwann schutzlos fĂŒhlte. Und dann natĂŒrlich die BĂŒchergeschenke. „Mein Esel Benjamin“, „Die feuerrote Friederike“ und mein absolutes Lieblingsbuch, „Trixelinchen Hexenkind“, habe ich heute noch im Regal stehen. Der Beginn meiner Leidenschaft fĂŒr BĂŒcher als Flucht- und Schutzraum.

Seltsamer Zufall, dass ich, unweit von Merten, dauerhaft in Bonn gelandet bin. Dass wir in SĂŒdfrankreich in der NĂ€he Eures „coin du paradis“ auch unsere Urlaubsheimat gefunden haben mit unserem Sohn. Den Du als einzige aus der Familie trotz oder gerade wegen seiner schweren Behinderung sofort bedingungslos akzeptiert hast. Das hat es auch mir leichter gemacht, ihn anzunehmen. Auch, wenn ich mich fĂŒr ihn fast aufgeben musste, um mich mit ihm langsam selbst neu zu erfinden. Du weißt als einer der wenigen, wie schwer das war, ist und bleibt.

Wenn der Wind im Arbeitszimmer die TerrassentĂŒr gegen die Kommode drĂŒckt, schreit die kleine Stoffmöwe aus Gruissan, die dort am TĂŒrschlĂŒssel hĂ€ngt; und Dein französisches Mitbringsel, das StoffschĂ€fchen, blökt immer mal wieder ungefragt von der TerrassentĂŒr im Wohnzimmer. Eins von Deinen AbtrockentĂŒchern hĂ€ngt immer in unserer KĂŒche. Und wenn wir in den nĂ€chsten Tagen nach Gruissan fahren, begleitest Du uns in Gedanken bis ans Meer. Waren wir doch selten dort am Étang, ohne dass Du uns besucht hĂ€ttest an einem der HĂ€user mit Blick auf den Chalet-Strand und den Canigou, der diesmal sicher noch schneefrei sein wird.

Deine Stella

© Stella 2019-04-11