von Sasa
Ein kleines Waldstück mit einer Lichtung am Rande, hoch oben auf einem Hügel. Dahinter drehen Windräder gemächlich ihre Runden. Mein Blick fällt auf die Bäume – ausschließlich Fichten, die ihre Äste im böhmischen Wind treiben lassen. Anders bei der Lichtung. Dort steht zwischen einer harmonisch wirkenden Linde und einer unbeschwerten Birke eine kleine und sensible Pappel. Sie sind anders. Passen aber perfekt zu diesem Ort. Bringen Vielfalt. Diese Bäume wurden im Vorjahr gepflanzt und haben bereits an Höhe zugelegt. Neben mir steht wucherndes Geäst, ein Haselnussstrauch, der seinen hellen Platz am äußersten Rand des Waldes verteidigt.
Ich gehe ein paar Schritte auf die Lichtung zu und steige dabei über ausgetrocknete Holzreste. Sie knarren unter meinen Füßen. Wilde Brombeerwurzeln suchen sich ihren Weg durch die Erdoberfläche. Ich weiche ihnen aus, um nicht zu stolpern. In meiner Nase macht sich der Duft nach lebendiger Erde breit.
Mich überkommt das Gefühl, diesen Ort nie verlassen zu wollen. Seine Kraft zieht mich magisch in seinen Bann – als würde man nur hier das Leben samt seiner anmutenden Schönheit genießen können: Die sanft fallenden Hügel, der Wald, der die ersten Laute der Vögel an diesem Morgen freigibt und mein Mann und meine zwei Kinder, die mich zu diesem Waldstück begleitet haben.
Mein Sohn sitzt in der Wiese unterhalb der Lichtung und betrachtet wissbegierig einen Fichtenzapfen in seinen kleinen und zarten Händen. Er kostet ihn kurz, verzieht das Gesicht und legt ihn wieder zurück in die Wiese zu den anderen Fichtenzapfen. Ein kleiner Marienkäfer dreht vor mir seine Runde. Er freut sich über meine Ankunft. Schon ist er fort.
Ich schließe die Augen, recke meinen Kopf zum Himmel und spüre die Frühjahrssonne, die mir mit ihren ersten Strahlen Wärme spendet, aber doch ist die Stimmung betrübt. Ich öffne meine Hand. Darin liegen ein kleiner bemalter Stein und ein Engel, der schützend vor seinem Bauch einen Stern in den Händen trägt.
Ein Windstoß fährt mir durchs Haar und lässt das Waldstück für einen kurzen Moment laut aufschreien. Dann wird es leise. Neben mir steht mein Mann, der tröstend seinen Arm um mich legt und vor mir blicke ich auf das Grab unseres still geborenen Kindes. Habe ich eine Geschichte zu erzählen? Ja, das habe ich.
© Sasa 2021-04-04