“Afrikaqualität”

Story

Auf den Lofoten gibt es jede Menge Stockfisch, auf Norwegisch Torrfisk genannt, also Dörrfisch, dem Namen entsprechend wirklich knochentrocken und hart, dazu noch eingesalzen. Diese Konservierungsmethode ist seit Jahrtausenden bekannt. Überall sieht man die hölzernen Gestelle, auf denen der ausgenommene Kabeljau zum Trocknen aufgehängt wird. In einem der malerischen Dörfchen bietet man den Touristen ein kleines Stockfischmuseum, wo man kurz über Geschichte und Herstellung informiert wird. Bei uns in Mitteleuropa kennt man Stockfisch ja kaum, außer vielleicht in Gestalt jener, die sprichwörtlich “stumm wie ein Stockfisch” sind, aber in Portugal beispielsweise ist er sehr beliebt, trägt dort aber den wesentlich poetischer klingenden Namen Bacalhau.

In diesem Stockfischmuseum nun, übrigens nahe der wegen der nicht mehr zu unterbietenden Kürze ihres Namens recht bekannten Gemeinde A gelegen, zeigt man die verschiedensten Arten bzw. Qualitäten von Stockfisch. Ich habe längst wieder vergessen, wodurch sie sich unterscheiden, aber sie waren hübsch in hüfthohen, geflochtenen Körben angerichtet und stanken dezent vor sich hin, glücklicherweise aber im Freien, denn das Zeug riecht auch in getrocknetem Zustand für Binnenlandbewohner relativ gewöhnungsbedürftig, wenngleich eindeutig nach Meeresgetier.

Da stand also eine ganze Reihe solcher Körbe mit Schildern, und auf dem letzten Korb stand “Afrikaqualität”, auf Norwegisch “kvalitet” geschrieben. In dem Korb waren aber nur Fischköpfe, manche noch mit etwas Rückgrat dran, aber praktisch fast ohne Fischfleisch. Wir fragten, wie das zu verstehen sei, denn man will ja nichts falsch interpretieren. Nun, der örtliche Führer klärte uns auf, dass man diese Fischköpfe nach Afrika verkaufen – nicht verschenken! – würde, vor allem nach Nigeria.

Sollte man nun denken, die Afrikaner hätten einen so ausgefallenen Geschmack, dass sie trockenen Fischköpfen gegenüber einem feinen Filet den Vorzug geben würden, oder war das nicht eher der Abfall, denn man ihnen da schickte, möglicherweise um Entsorgungskosten zu sparen? Vielleicht ließ sich daraus aber auch Tierfutter zubereiten? Oder waren die Köpfe in gemahlenem Zustand als Dünger oder Rohstoff für irgendetwas anderes verwendbar? Und sollte es sich tatsächlich auszahlen, diese Reste, die wir alle spontan eher als nur sehr bedingt verwertbaren Abfall gesehen hätten, über tausende Kilometer auf einen anderen Kontinent zu transportieren? Ich war verblüfft, so wie alle Nebenstehenden wohl auch, fragte aber nicht genauer nach und vergaß es auch im Zuge der vielen Eindrücke und der unglaublichen Schönheit Norwegens gleich wieder.

Erst daheim fiel es mir wieder ein, als ich Bilder aus Afrika sah. Doch mir ist bis heute nicht wirklich klar, was man in Afrika mit den Fischköpfen macht. Verblüffend fand ich aber auch die schonungslose Ehrlichkeit, mit der man diese Reste als “Afrikaqualität” bezeichnete.

© 2022-11-18