Agios Nikolaos

Lupodimare

von Lupodimare

Story

Auch Kinderspiele können gefĂ€hrlich sein. Wer weiß das nicht! Lucius rechnete durch: Bis Poros die erste Etappe, bis Spetses oder Porto Cheli die zweite, in Monemvasia dann verschnaufen, der Nachttrip bis Pylos wĂ€re die Nummer vier, dort KrĂ€fte sammeln. Insgesamt wĂ€ren es bis zu seinem Ziel, wollte er es ohne allzu gewagtes Risiko angehen, acht Teilstrecken sein, die es zu bewĂ€ltigen gĂ€lte. Das mĂŒsste doch machbar sein, immer vorausgesetzt das nichts dazwischenkommt.

In Agios Nikolaos an der Nordostspitze der Insel Zakynthos wĂŒrde er bei Dimitris abwarten, bis er zeitgenau am 26. – einen Tag vor Ankunft seiner neuen Crew – nach Agostoli ĂŒbersetzte. Oft war er schon an Dimitris Place, wie er auf einem Riesen-Transparent genannt wird, sodass jeder, der von See kam, gleich sah, was ihn erwarten wĂŒrde. Dabei gehörte seiner Familie die Bucht nicht allein.

Die Siedlung hat ihren Namen von dem einstigen Kloster auf der vorgelagerten Insel, von dem heute nur noch Ruinen existieren. Aber im Grunde Ă€hnelt der Platz eher dem Verona aus Shakespeares „Romeo und Julia“ – und das kommt durch die bei­den rivalisierenden Clans, die sich dort auf zwar gewaltfreie, jedoch bisweilen perfide Weise bekĂ€mpfen. Die Capulets und Montesquieus heißen hier anders. Der Ort liegt, sagen wir es rundheraus, am Arsch der Welt. Er hat auch nicht diese TrĂ€umstrĂ€nde, die andernorts HahnenkĂ€mpfe um die Touristen und Touristinnen auslösen könnten. Aber beide Familien haben jeweils geschĂ€ftstĂŒchtige und fleißige, starke und schöne MĂ€nner, die es verstehen, das Erbe ihrer VĂ€ter nicht nur zu bewahren, sondern zielgerecht zu vermehren.

Agios Nikolaos ist Ausgangspunkt fĂŒr BootsausflĂŒge zu den zwei Insel-SehenswĂŒrdigkeiten, die jeder Urlauber gesehen haben will: den blauen Grotten am Kap Skinari und vor allem der legendĂ€ren Ship Wreck Bay. Zweiteres ist im Grunde nichts weiter als ein weißer Strand mit tĂŒrkisfarbenem Wasser vor hundert Meter hohen Kalksteinfelsen, die oben saftig grĂŒn bewachsen in einen strahlend blauen Himmel ragen … und mitten drin ein braun vor sich hin rostendes Schiffswrack.

Eine Farb-Orgie ohne Zweifel, angeblich das meistfotografierte Motiv Griechenlands nach der Akropolis von Athen und 2018 von mehr als 1000 Reisejournalisten als schönster Strand der Welt gekĂŒrt – was natĂŒrlich Unsinn ist, aber es hilft! Doch wie so oft gibt es auch hierzu eine Legende, denn Legendenbildung ist die zu­ver­lĂ€ssigste Grundlage fĂŒr jedes GeschĂ€ft: Der Navagio Beach wurde berĂŒhmt durch den Frachter Panagiotis, der in der Nacht des 2. Oktober 1980 an dieser Stelle bei schwerer See und schlechter Sicht auf Grund lief. Als RettungskrĂ€fte eintrafen, war niemand mehr da. Als Anwohner die Ladung bergen wollten, fand man riesige Mengen unverzollter Zigaretten, die danach angeblich niemals auftauchten. Die Panagiotis war ein Schmugglerschiff, die Rechtslage unklar, die Crew verschwunden. Kommt mir bekannt vor, dachte Lucius.

© Lupodimare 2023-04-05