Ahnenforschung

Sonja M. Winkler

von Sonja M. Winkler

Story

Ich durchstöbere keine Genealogie-Archive. Ich verfolge meine Vorfahren nicht Jahrhunderte zurück. Aber ich tue das mit Wörtern.

Der Grundstein für das Interesse an meiner Muttersprache wurde früh gelegt. Wenn meine Oma zum Beispiel „Audüfö“ sagte, fragte ich meine Mutter, wie denn dieses Wort „auf schön heißt“. Endiviensalat, war ihre Antwort.

Die Mundart meiner Großmutter, die hat einiges hergegeben für Dialektstudien. Und so erforschte ich, was halt ein kindlicher Verstand erforschen konnte. Oft war es nur ein Staunen.

Als ich in die Volksschule ging, war es mir sehr wichtig, keine Fehler zu machen in meinen Sätzen, und daher verwendete ich nur solche Wörter, bei denen ich wusste, wie man sie schreibt.

Ich lauschte den Erklärungen der Frau Rabuse, so hieß meine Lehrerin, und war beeindruckt, als sie sagte, „nämlich“ schreibt man deshalb ohne stummes h, weil es nicht von „nehmen“ kommt, sondern von „Name“.

Es erübrigt sich, darauf hinzuweisen, dass mich diese Äußerung anregte, mich mit dem Prinzip „Stamm- und Ableitungssilbe“ näher zu befassen.

Das liegt alles lange zurück.

Meine Mutter kramt neuerdings sehr viele vergessene Dialektwörter aus. Ein gefundenes Fressen sozusagen. Am Telefon fragt sie mich, ob ich weiß, was „ein Wasen“ ist. Des Woat is aufdaucht in da Ergotherapie. De Pflegerin hod gmant, ah so, a Vasn, mit fau. Na, hob i gsogt, „Wasen“ mit we, des is hochdeitsch.

Nein, ich muss gestehen, das Wort kenn ich nicht. Aber ich erinnere mich, vor einiger Zeit über den Begriff „Wasenmeister“ gestolpert zu sein, als ich über die Geschichte des Ortsteils Linz/Ebelsberg recherchierte, wo ich aufgewachsen bin.

Schinderlacke, jo, des sokt ma wos, sagt meine Mutter. Dort soll ein Wasenmeister ansässig gewesen sein, sag ich, das hab ich gelesen, das ist ein Abdecker, ein Schinder. Er hat das geschlachtete Vieh der Bauern verwertet, also vergraben. Hat abseits gewohnt, an der Lacke, weil sein Handwerk ja mit Gestank einherging.

Jo, redma üba ‘n Wosn, sagt meine Mutter und holt aus. Ihre Mutter, also meine Oma, habe das Wort verwendet, wenn nach einem Insektenstich die Haut ein wenig gerötet war. Dann hat sie gesagt: Gebma an Wosn drauf. Sie hat dann ein Grasbüschel ausgerissen, mit Erde dran, sagt meine Mutter, und das hat sie auf die geschwollene Stelle gelegt. Weil’s kühlt.

Ich gehe der Sache nach und werde sofort fündig. Alt- und mittelhochdeutsch ist das Wort belegt (wase, masc.) und bedeutete „feuchter Erdboden, oberste Humusschicht“. Germanisch *wrasō- „grasbewachsene Erdfläche“ ergab demnach die Wortdubletten „Rasen“ und „Wasen“.

Ich frage im Freundeskreis herum. Und siehe da, zwei meiner Freundinnen kennen das Wort aus ihrer Kindheit. Freilich, sagen sie, a Wosn, des is a Erd‘ mit an Gros drauf.

Mein Opa mähte noch mit der „Sengst“, saß rittlings auf dem Dengelbock und dengelte, bis das Sensenblatt wieder a Schneid‘ kopt hod.

So war’s, bevor der „Wasenmäher“ den “Rasenmeistern” den Garaus machte.

© Sonja M. Winkler 2023-04-12

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