Ahnungslos.

Roland Hummer

von Roland Hummer

Story
Suriname

Matthew und ich brachen in völliger Dunkelheit auf, ausgestattet wie immer: Gummistiefel, Macheten, Stirnlampen mit Ersatzakkus – und in meinem Fall zusätzlich Kamera, Weitwinkelobjektiv, Stativ und ein Diffusor, um das Licht für meine Aufnahmen zu streuen. Der nächtliche Sumpf war längst zu unserem gewohnten Terrain geworden. Brusttief stand ich im trüben Wasser und redete mir ein, die Gefahren wären nicht so allgegenwärtig, wie meine innere Stimme behauptete. Doch ich wusste es besser. Hier, in den Tiefen des Regenwaldes, lauerte die Wildnis mit all ihrer unberechenbaren Gewalt – ein leises Plätschern konnte ein herannahender Kaiman sein, ein unscheinbarer Schatten die glatte Bewegung eines Stachelrochens.

Diese Nacht jedoch versprach noch intensiver zu werden, ohne dass ich es ahnte. Es war unsere letzte Chance, eine Anakonda zu sichten, und wir wollten nichts dem Zufall überlassen. Um unsere Erfolgschancen zu maximieren, beschlossen Matthew und ich, uns zu trennen. Er ging stromaufwärts auf einer Seite des Flusses, während ich mich auf der anderen Seite durch das Dickicht kämpfte – eine Entfernung von etwa 40 Metern, die sich in der Finsternis wie ein Ozean anfühlte. Schon nach wenigen Minuten war der Strahl seiner Stirnlampe verschwunden. Der Sumpf verschluckte jedes Licht und jedes Geräusch. Ich war allein. Mein Atem ging flach, und jeder Schritt war ein Tanz zwischen Mut und Vorsicht. Das Wasser um mich herum war schwer und trüb, als ob es meine Gedanken spüren konnte.

Die Stunden vergingen zäh. Ich suchte angestrengt nach den Merkmalen, die eine Anakonda verraten konnten: ihre braun-olivgrüne Grundfärbung, die schwarzen Flecken auf ihrem Rücken, die wie kunstvolle Malereien wirkten, oder die leuchtend gelben Augenflecken an ihrer Seite. In den Augenwinkeln meinte ich immer wieder Bewegungen zu sehen, doch es waren nur die Reflexionen des Lichts auf dem Wasser. Meine Stirnlampe schnitt durch die Dunkelheit, und ich war völlig fixiert darauf, das charakteristische Schuppenmuster zu erkennen. Die Angst wich nicht, aber sie wurde zu einem Begleiter, einem Flüstern, das mich aufmerksam hielt. Ich wusste um die Gefahren, die mir hier begegnen konnten. Die giftigen Stachelrochen lauerten im Flussbett, andere Schlangenarten zogen sich leise durchs Wasser, und die Kaimane – diese lautlosen Jäger aus der Unterfamilie der Alligatoren – hätten mich mühelos in die Tiefe reißen können. Doch meine Gedanken ließen keinen Platz für diese Bedrohungen.


© Roland Hummer 2025-03-20

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Adventurous, Emotional, Informative, Inspiring
Hashtags