Piep-piep. Mist, schon wieder vergessen, das Ladekabel rechtzeitig hervorzukramen, ärgert sie sich augenverdrehend über sich selbst. Sie seufzt tief und schwermütig. Irgendwie läuft in letzter Zeit alles aus dem Ruder und wächst ihr über den Kopf. Den Kopf, der sich so schwer anfühlt von ihren Verspannungen und ihrer dauerhaft krampfhaften Haltung. Manchmal ertappt sie sich bewusst dabei und versucht, ihre Schultern zu senken und ihre verbissene Mimik zu lockern. Für eine kurze Nanosekunde gelingt ihr das auch. Bis zum nächsten Eintreffen einer der endlosen Mails, dem Pling einer aufdringlichen Nachricht oder dem hysterischen Klingelton eines Anrufs, der ihr sprichwörtlich das Ohr abkaut. Sie lehnt sich nachdenklich in ihrem anscheinend ergonomischen Sessel zurück und versucht sich zu sammeln.
Konzentriere dich, lautet das Mantra ihrer inneren Stimme, das ohne Befehlston keine Wirkung mehr zeigt. Der Tag ist bald um und dann, ja was dann? Dann fällt sie gerädert ins Bett und der Wahnsinn beginnt von vorne. Seit letzter Woche hat sie manchmal einen summenden Ton im Ohr, als würde jemand dauerhaft ihre Türklingel drücken. Sie versucht das jedes Mal panisch zu ignorieren und atmet erleichtert auf, wenn er wieder verschwindet. Gott sei Dank kein Tinnitus, so was bekommen immer nur die anderen. Ihre Cousine hat so was. Eine gestresste Frau.
Der Tag hat endlich sein Ende erreicht. Ihr Rechner fragt sie beim Herunterfahren, ob sie Updates machen möchte. Keine Updates, bitte nicht noch mehr, denkt sie während sie den schwarzen Bildschirm anstarrt. Ihr Handyakku ist inzwischen gänzlich leer. Die Handtasche in der einen Hand, ihre Einkäufe in der anderen balancierend, huscht sie noch schnell bei dunkelgrün alias orange über die Fußgängerampel. Mist, Ladekabel im Büro vergessen. Verärgert über sich selbst dreht sie sich automatisch um und überquert den Zebrastreifen, ohne auf den Verkehr zu achten. Es erfolgt ein dumpfer Knall, Äpfel kullern unrund über die Straße, zischender Rauch steigt aus einer Motorhaube auf. Aurora liegt wie eine leblose verrenkte Schaufensterpuppe auf dem Boden. Traurigerweise sehen ihre Gesichtszüge zum ersten Mal an diesem Tag irgendwie entspannt aus.
Als sie aufwacht, blendet sie ein surrendes Neonlicht. Ihre Augen blinzeln vorsichtig, um sich an das grelle Licht und unendliche Weiß um sie herum zu gewöhnen. Schmerzhaft dreht sie ihren Kopf nach rechts. Am Nachttisch liegt ihr Handy, angesteckt am schwarzen Ladekabel. Stumm beobachtet sie die Querstreifen, die symbolisch Energie in die digitale Batterie pumpen. Ich werde meine Akkus ab jetzt immer sofort aufladen, noch vor dem ersten Piepsen, flüstert sie ihrem Schutzengel dankend zu.
© Carina Allerstorfer 2021-11-05