von Silvia Peiker
Das altgriechische Wort Alexandron bedeutet Verteidiger, Beschützer und stellt im Falle des Eroberers Alexander wohl ein Paradoxon dar. Denn verteidigen mussten sich wohl seine Feinde wie Dareios, dessen Achämenidenreich der machthungrige makedonische Invasor sich geschichtsträchtig einverleibt. Auf der einen Seite metzelt der furchtlose Feldherr, der stets an vorderster Front mit seinen Getreuen kämpft und insgesamt neun Verwundungen davonträgt, seine Gegner nieder, auf der anderen Seite ehelicht er die Tochter des Perserkönigs und initiiert die in die Historie eingegangene Massenhochzeit in Susa, bei der er seine Gefolgsleute mit Perserinnen verheiratet. Seine ehrgeizigen Pläne, die Völker zu vermischen, sind jedoch zum Scheitern verurteilt, als nach seinem Tod mit nur 32 Jahren, verursacht durch ein Fieber oder eine heimtückische Vergiftung, der Kampf um die Nachfolge seine einstigen Weggefährten und royale Ehefrau, die seinen ungeborenen Sohn trägt, zu erbitterten Rivalen macht.
Einzig Ptolemaios‘ gegründete Pharaonen-Dynastie kann sich in Ägypten 300 Jahre lang halten, zwei von Alexanders Ehefrauen und schließlich auch sein 12-jähriger Sohn fallen in den sogenannten blutigen Diadochenkriegen um die Nachfolge gnadenlosen Meuchelmördern zum Opfer. Alle gieren nach einem Stück vom Kuchen des riesigen Reichs, das neben seiner Heimat Makedonien das antike Griechenland, die Kornkammer Ägypten und das ausgedehnte Persien auch Afghanistan, die Türkei, den Libanon, das Gebiet des heutigen Israels, den Irak, Jordanien, Kaschmir, Pakistan und Syrien umfasst.
Dabei hat der junge König lediglich seinem abenteuerlustigen Vorbild, Homers Helden Achill, nachgeeifert. Alexander hütet sein eigenes Exemplar der Ilias wie einen bibliophilen Schatz, dem er mehr Wert beimisst, als Reichtümern oder Titeln. Der junge Feldherr besinnt sich auf Homers abenteuerliche, auf Hexametern aufgebaute Werke, um in Achills Schatten große Länder und deren Ethnien zu verschlingen. Die griechische Sprache wird, bis sie von Latein abgelöst wird, schließlich zur Lingua Franca und es erstaunt nicht, dass der griechische Name Homer mit „der, der nicht sieht“ übersetzt wird, wenn niemand mit Sicherheit sagen kann, ob der berühmte Epiker im 9. oder 12. Jahrhundert v. Chr. gelebt hat.
Aber Irene Vallejo erzählt in ihrer geschichtlichen Aufarbeitung Papyrus nicht nur von längst versunkenen Bibliotheken und antiken Reichen. Unverblümt nimmt sie die patriarchal angehauchte Schreibweise des großen Dichters der Odyssee unter die feministische Lupe. Und hinterlässt uns im Gedenken an Alexander den Großen die Botschaft: Die Welt zu denken ist ein Handwerk, das sich den Büchern und der Lektüre verdankt.
Eigenes Foto: Ende des Tages von Matthew Wong
© Silvia Peiker 2025-04-06