Alexander Lubina – ein Mann, ein Lauf

Oliver Fahn

von Oliver Fahn

Story

Frühmorgens. Mein Oberkörper ist außerstande, aus dem Bett fallenden Beinen zu folgen. Erneut nehme ich Schwung, mich aufzurichten. Ich verwehre mich dem Nonsens: Das Radio erklärt Alexander Lubina für tot. Alexander, mein Jahrgang. Der Versuch, eine Klippe hinunterzusteigen. Im Sturm von einer Welle erfasst, gegen Felsen geschleudert. Tot. Und ich? Immun gegen Suche nach Nervenkitzel an Abgründen, gedrosselt von vorweggenommenen Absturzkulissen Höhenängstlicher. Extrembergläufen verwandte Kicks scheue ich, wie Antonia Schmutzwäschetürme. Mit Hormonfluten aus Endphasen von Flachlandmarathons gibt sich mein Organismus zufrieden. Bungee-Jumping? Überlebenschancen dürfen nicht von der Länge eines Seils abhängen.

Am heutigen Tag lockt mich Antonia in eine Gondel. Alexanders tödlichen Unfall schleppe ich mit. Jede Höhe, sei sie minimal, ist angerichtet, Achterbahngefühle auszulösen, Chaos gemiedener Riesenradfahrten zu erzeugen. Subtile Angstnuancen formieren sich zur Sinfonie. Vom Wind angespielte Gondel wankt. Entgegen meines Optimismus, versuche ich mir Unglücksszenarien aufzuzeigen, Alexanders Tod in haufenweisen Dramen zu ertränken. Gibt es Furchterregenderes als das Sterben Gleichaltriger am Tag ähnlich gearteter Herausforderungen? Ich atme tief. Deutlich länger aus. Letzte Atemzyklen meines Lebens? Ich koste sie aus, verkrieche mich in einzelne Körperteile. Werde ganz Zeh, dessen Hornhaut meine Socke durchbohrt. Ich veratme Gelähmtheit. Achtsamkeit drängt mich, mein Sein zu spüren.

Wer haftet für eventuelle Katastrophen? Wird Antonia prozessieren, falls mich bevorstehendes, von ihr initiiertes Erlebnis, dahinrafft? Nervositätsüblich entfällt mir der Name meiner Frau. Fortan muss ein Du als Anrede genügen. Faulige Düfte penetrieren meine Nase. Kann Zahnpasta schimmeln? Oder beruhen Nachwehen morgendlicher Hygiene auf misslungener Umsetzung des Herstellers, anstelle von Minze eine innovativere Note in die Tube zu bringen?

Die Gondel treibt voran. Unsere Kabine macht Zwischensprünge. Rabiat presse ich meine Lider aufeinander. Öffne sie postwendend. Ohne Bodenkontakt hänge ich in der Luft. Mit schnurgeradem Blick eine vielbefahrene Straße zu queren, hoffen, heil anzukommen. Das Gleichnis meines Ausgeliefertseins. Über Pistenwartung sehe ich hinweg. Jede Investition hinsichtlich Reparatur und Aufbereitung könnte mein Quäntchen Sicherheitswahrnehmung endgültig abwürgen. Ich träume in der Melodie frequenter Maschinenschreiber. Zügige, kopfgemachte Vertonungen vermeiden hysterische Anfälle. Ich applaudiere der Last, die durch Konzentration verfliegt. Antonia hat mich unter falschen Annahmen hergelotst. Am Tag von Alexanders Schreckensmeldung steht mir jene alpine Tour bevor. Wahrscheinlich ist ihr die Meldung völlig entgangen. Setzte ich voraus, sie interessiere sich für den Zustand eines ihr unbekannten Alexander Lubina?

© Oliver Fahn 2022-03-29

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