von Maria Merimi
Ich sitze da und schaue in den Sternenhimmel im Piemont. Die Fülle der Sterne überwältigt mich. Ich sehe die Milchstraße! Seit Jahren habe ich sie nicht mehr so deutlich gesehen. Ich verbinde mich mit Gérard. Er war mein Lebenspartner, Vater meines Sohnes, später Ehemann, dann Freund. Mehr als 25 Jahre hat er meinen Lebensweg begleitet und oft auf dramatische Weise geprägt. Am 25. August 2013 ist er für mich unerwartet friedlich eingeschlafen. Die Nachricht seines Todes war ein Schock für mich.
Gérard war Alkoholiker, er hat viel Leiden bei den Menschen erzeugt, die ihn besonders liebten. Ich wollte ihn noch einmal sehen, als er schon 4 Tage tot war. Das war nicht so einfach, da der Sterbeprozesse schon weit fortgeschritten war. Aber ich hatte den starken Wunsch, und so wurde es möglich gemacht. Mit einer Freundin, die ihn gepflegt hatte, betrat ich das Zimmer im Beerdigungsinstitut. Gérard war dort aufgebahrt. Die Angst, die ich noch vor dem Betreten des Raumes verspürte, war verschwunden, als ich ihn dort liegen sah. Sein Gesicht war friedlich und würdevoll. Es machte mir Freude, ihn noch einmal zu sehen. Um seinen Mund lag ein Lächeln. Auch Christiane bemerkt es sofort, sie sagte; „so freundlich habe ich ihn lange nicht mehr gesehen.“
Er lag da, mit seinem schwarzen Künstlerhut, seinem Lieblingshemd, Jeans und Lederjacke, die Hände auf dem Bauch gefaltet und lächelte mir zu. Ich erschrak nicht, als ich seine kalten Hände und sein Gesicht berührte, ihm zum Abschied einen Kuss auf seine schöne Nase gab. Endlich hatte er Frieden gefunden. Er war die Liebe meines Lebens und durch ihn hat mein Leben den Weg genommen, den ich heute gehe.
Lange hatte ich versucht, ihn vom Alkohol wegzuholen. Jahre glaubte ich, wenn ich etwas anders machen würde, könnte er aufhören zu trinken. Zu wenig wusste ich von dieser tückischen Krankheit Alkoholismus. Aus Leidensdruck fand ich den Weg zu Al-Anon, der Familiengruppe der Anonymen Alkoholiker. Es war ein langer Weg, der irgendwann zu unserer Trennung führte. Ich hatte nie aufgehört ihn zu lieben, und habe ihn auch in seinen letzten Jahren immer wieder, in einem gesunden Abstand für mich, und meinen Sohn begleitet.
Heute Nacht beim Blick in die Sterne wurde mir klar, dass ich diese Geschichte aufschreiben muss.
Im Wald vom schamanischen Centrum in Salvador hatte ich beim Bewachen der neu gebauten Schwitzhütte eine Vision. Wir schliefen bei leichtem Regen unter den Bäumen, die mit Lianen bewachsen waren. In der unbedeckten Hütte brannte ein Feuer und wir wechselten uns ab in unserer Nachtwache. Als ich kurz eingeschlafen war, sah ich im Halbschlaf Gérard, er hatte seine Beine auf dem Schoß eines Freundes, der kurz nach ihm gestorben war, die beiden saßen auf einer Bank und sahen sehr fröhlich aus. Sie zwinkerten mir zu und sahen wohlwollend auf mich herab. Ich lag da unten und fühlte mich sehr geborgen unter ihrem freundlichen Blick.
© Maria Merimi 2021-08-07