von AureliaEloy
Es war ihr Blick, der ihn erstarren ließ. Ein Blick voller Trauer, voller Begierde und voller Einsamkeit. Ein Tag wie jeder andere. Man steht auf, man schlägt die Decke zurück, man geht ins Bad, man putzt sich die Zähne, man zieht sich an, man frühstückt, man verlässt das Haus, man geht arbeiten oder zur Schule, man kommt müde zurück, vielleicht glücklich, vielleicht auch nicht, weil man heute nicht das rothaarige Mädchen im Geschichtskurs bei Herrn Mielke gesehen hat, man macht Abendessen, man isst Abendessen und guckt parallel YouTube, weil andere Menschen gerade in Dubai eine Roomtour drehen, man denkt, das mache glücklich, aber das tut es gar nicht, in Wahrheit, sitzen diese Leute Stunden um Stunden vor ihren Bildschirmen um die richtige Sekunde für den cut zu finden, um die Werbung dezent genug zu verstecken, damit der Zuschauer denkt, es sei seine eigene Idee, sich eine sinnlose Wasserflasche mit Geruchsapplikationen zu kaufen, um ihm ein wenig Macht über den sinnlosen und absurden Alltag zu geben, ihn entscheiden zu lassen, ihm sein leben zu lassen, schlussendlich, ist es aber nur eine einfache Illusion. „Ist halt so. Mach dir keine Sorgen, alles wird gut.“ hatte seine Mutter immer gesagt. Seine Mutter war eine einfache Frau, liebevoll und freundlich. Wenn sie denn nun da war, sie arbeitete viel, nicht, weil sie es musste, Geld hatten sie genug, sie wollte es. Vielleicht wollte sie nicht bei ihm sein, hatte er sich immer als Kind gedacht, denn als Kind, weiß man sowas nicht. Man weiß nicht, dass die Arbeit das ist, was die Menschen am Leben hält, man weiß auch nicht, dass es einem später genauso ergehen wird, man fragt sich nur, warum Mama nicht mal einen Tag Zuhause bleibt, warum Mama nicht mal einen Freitag einfach so, für dich, und nicht für eine politische Veranstaltung, einen Kongress, oder einen Vortrag Zuhause bleibt und mit dir und dem schicken Cabrio ins Planetarium fährt, weil Papa Astronom war, bevor er an diesem Abend länger arbeiten musste und ein Mann zu viel getrunken hatte und mit 180 km/h in den alten Wagen deines Vaters krachte. Du wusstest nicht, was der Tod ist, bis er, in einer blauen Uniform, an deine Tür klopfte und sagte „Es tut mir sehr leid Junge, dein Vater hatte einen Unfall. Er ist nun im Himmel.“. Der Himmel ist schön! „Wohin fliegt er denn?“ sagst du, unwissend, was der Polizist meint. Du verstehst nicht, als er dich irritiert und dann mitleidig ansieht. „Er ist im Paradies, er geht zu Allah, zu Gott, er kommt nicht zurück, er ist glücklicher da.“. Du verstehst, dein Vater hätte euch für einen Typen namens Allah verlassen. Komischer Name denkst du dir, hab ich schon mal gehört. Die Jungs aus der dritten Klasse rufen das immer, wenn sie Terroristen spielen, nur weil Mika in Fatima verliebt war, bis seine Mutter ihm sagte, ihr Vater sei Terrorist, weil er aus der Moschee kam, und Fatima einmal im Jahr einen ganzen Monat nichts aß. Du bedankst dich und schlägst die Tür zu, bevor irgendwer noch etwas über diesen geheimnisvollen Mann sagen kann. „Mama!“ schreist du. Sie hört dich nicht, sie hat so ein dummes Meeting. „Mama!“ schreist du dieses mal noch lauter.„Was ist denn David, ich kann jetzt nicht!“ schreit sie wütend zurück. „Papa ist tot.“ flüsterst du, weil du verstanden hast.
© AureliaEloy 2023-08-13