von Sofia Scherer
Eines Samstags verkündete Nico, dass er eine Buchpräsentation vorbereiten muss. Über ein Buch, welches er noch nie gelesen hatte. Nico saß schon vorbereitet am Tisch. „Ich hab schon ChatGPT gefragt!“, sagte er stolz und zeigte auf sein iPad. Ausnahmsweise war es mir egal, dieses Hilfsmittel zu verwenden, denn uns blieb keine andere Wahl. Nico würde Wochen brauchen, das Buch zu lesen. Wir nahmen also die Zusammenfassung, welche uns ChatGPT ausspuckte und arbeiteten eine Stunde daran, die Sätze so umzuformulieren, dass sie von Nico gewesen sein könnten. Ich wunderte mich etwas über den Inhalt des Buches, da das Buch irgendwann in den 90ern veröffentlicht wurde, also schon fast ein Antiquariat war. Aber egal. Wir (oder besser ich) schrieben fleißig und munter weiter.
Irgendwann wollte ich trotzdem einen Blick auf das Buch werfen. Nico kramte es aus seiner Schultasche hervor. Ich traute meinen Augen nicht, als ich den Autor las. Am liebsten hätte ich Nico das Buch sogleich mit Wucht an den Kopf gehauen. Nico hatte nicht bedacht, dass es vielleicht mehrere Bücher mit dem Titel „Bad Castro“ gab. Das Buch, über das wir (ich) mühselig die Zusammenfassung verfasst haben, war aus dem Jahre 1990. Das Buch, über das Nico seine Präsentation machen sollte, wurde 2021 veröffentlicht. Während Nico sich vor Lachen krümmte, war mir zu Weinen zumute. Ich konnte es nicht glauben. All die Arbeit umsonst und wir mussten von vorne anfangen. Zudem lief uns die Zeit davon! Wir gaben also die genauen Daten ein und baten ChatGPT noch freundlicher als zuvor um eine „Zusammenfassung in einfacher Sprache“. Wir kopierten den Text, schrieben ihn um und Gott sei Dank war mein Vertrauen in die künstliche Intelligenz nicht mehr so groß, weshalb ich mir zur Sicherheit den Klappentext des Buches durchlas.
Inhalt? Total anders! Komplett andere Namen und Handlungsläufe. Nun hätte ich den ultrateuren iPad Pro von Nico zum Fenster raus und den Balkon hinuntergeworfen. Der Hass war groß. Nico schien es nicht so viel auszumachen, da er ja nicht so viel seiner Nerven investiert hatte. „Machen wir halt nochmal“, meinte er schulterzuckend, während ich innerlich kochte. Ich schwor mir, nie wieder diese KI zu verwenden, wenn es darum ging, eine Buchpräsentation zu verfassen. Nico nannte mich in diesem Moment vielleicht Boomer, doch ich wusste, dass er mir insgeheim dankbar war. Dankbar dafür, dass ich ihn nicht nur vor einer negativen Note, sondern auch für eine Blamage vor der ganzen Klasse bewahrt habe. Generell wenn es um Powerpoints oder Vorträge ging, war ich Nico eine große Hilfe. Wenn unsere Zeit begrenzt war, kam es schon mal vor, dass ich ihm einfach die Maus abnahm und die Bilder so hinschob wie sie passten. Denn Nicos Arbeitsweise war vergleichbar mit der einer Schnecke. „Nicolò! Mach weiter!“, sagte ich alle fünf Minuten. Oft wollte ich die Faulheit nicht unterstützen, doch wenn meine Laune einen Tiefpunkt erreicht hatte und Nico fröhlich auf meinen Nerven rumtrampelte, drückte ich ein Auge (oder auch mal zwei) zu.
Ich: „Mah, Nico! Mach ordentlich, bei der Überschrift kann man ja nix erkennen!
Nico: „Warte – jetzt kommt erst das Upgrade!“
© Sofia Scherer 2025-02-24