von Klaus Schedler
Vor allem war es wohl dieses Lied, das den 1991 verstorbenen österreichischen Volksschauspieler Kurt Sowinetz einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte. Als Parodie von Schillers „Ode an die Freude“ dürfte es eine typische dunkle Seite des Wiener Naturells angesprochen haben. Tatsächlich gibt es überall Zeitgenossen, die im Zorn ihre Wut an vollkommen Unbeteiligte auslassen und naturgemäß ist es durchaus möglich, auch in Wien auf solche Typen zu treffen. Sie suchen einen nichtigen Anlass, um zu streiten oder provozieren, um Zuschlagen zu können. Der zweifelhafte Reiz für dieses abartige Verhalten liegt darin, gefühlsmäßig als Sieger aus der Auseinandersetzung hervorzugehen.
Ich kam gerade vom Zahnarzt und fuhr im O-Wagen zurück zu meinem Arbeitsplatz, als so ein Typ die Straßenbahn betrat. Er kam vom Mitteleingang und dort nach dem Faltenbalg gab es Vis à Vis vom Einstieg zwei einander gegenüberliegende Einzelplatze. Er warf sich rücksichtslos auf den freien Platz, saß nun breitbeinig da und musterte die anderen Fahrgäste, die ihn meist zu ignorieren versuchten. Sein umsichtiges Gegenüber erkannte die Gefahr, die von dem jungen Mann auszugehen schien und räumte vorsichtshalber seinen Platz. Der Bursche jedoch begann, die offensichtlich ihm geltende, stille Aufmerksamkeit der Umgebung zu genießen, nestelte eine Zigarettenschachtel aus seiner Hemdtasche und zündete sich eine Zigarette an, wobei er das Zündholz noch brennend auf den Boden warf.
Er hatte vielleicht gerade zwei bis drei Züge gemacht, als plötzlich Bewegung in den Straßenbahnwagen kam: In den hinteren Reihen hatte sich ein Schwarzer im blauen Monteuranzug erhoben. Mit der Statur eines Boxweltmeisters im Schwergewicht bewegte er sich nun in aller Seelenruhe in Richtung des Mitteleinstiegs. Doch anstatt sich dort aufs Aussteigen vorzubereiten, drehte er sich plötzlich um, öffnete das Fenster über dem Sitzplatz des Rauchers, nahm ihm wortlos die Zigarette aus dem Mund und warf sie hinaus. Danach schloss er das Fenster wieder und setzte sich neben dem Burschen auf den eben zuvor freigewordenen Platz, um ihn in aller Ruhe stumm zu betrachten.
Fast alle Fahrgäste waren Zeuge dieses wahrhaft bühnenreifen Auftritts und im Moment, als die Zigarette auf die Straße flog, ging ein allergemein anerkennendes Gemurmel durch die Straßenbahn. Der Bursche jedoch beeilte sich, bei nächster Gelegenheit den O-Wagen rasch zu verlassen und dabei so wenig wie möglich aufzufallen. Auch ich war dem Schwarzen für die gezeigte Zivilcourage dankbar. Der war mir nämlich „überhaupt net z’wider“ – ganz im Gegenteil!
© Klaus Schedler 2021-08-10