von Armin Sauseng
Ich lieg schon auf meiner Pritsche im Schlafwaggon. Oben (oder unten, das weiß ich nicht mehr so genau). Meine Eltern sind auf der gegenüberliegenden Waggonwand eingeschlichtet. Mein Papa sempert schon ein bisserl, weil er weiß, dass er hier nicht einschlafen wird. Meine Mama überlegt, was sie sich alles in Rom anschauen möchte.
Eigentlich hätte ich schon letztes Jahr in Rom sein können, mit meiner Klasse. Aber dann ist mir einer beim Fußballspielen, knapp außerhalb des Strafraums, reingerutscht. Mit der blutigen Emmanuel Pogatetz-Gedächtnisgrätsche. Bändereinriss. Kein Rom für mich mit der Schulklasse. Kein Napoli. Kein Vulkan. Wie heißt der noch einmal? Einmal, in einer anderen Gruppe, war einer dabei, der hat sich auf dem Weg den Vulkan hinauf (jetzt hätte ich den Namen fast gehabt) in die Hosen gemacht. Warum mir das jetzt einfällt? Konzentration, Armin, du schwafelst! Fakt ist: Ich hab nicht mitfahren können. Das hole ich jetzt mit meinen Eltern nach. Ja, warum nicht?
Ich habe mich vorbereitet und AUS DEM LEBEN EINES TAUGENICHTS von Joseph von Eichendorff gelesen. Jetzt liege ich auf meiner Nachtzugswaggonpritsche und blättere durch ein Gitarrenmagazin. Ich werde mir das Bild von Katie Melua mit ihrer neuen Gitarre ausschneiden, obwohl ich damals in meiner Bruce Springsteen und CCR Phase war. Truckerkappe und Jeans. Ich war ein ganz normaler U.S. Teenager. Viele Jahre später hat mir die Anna von Unicorn goes Universe gesagt, dass ich sie an einen College-Team-Footballspieler erinnere. Wie heißt jetzt der Vulkan?!
Wenn man mit dem Zug von Graz nach Rom möchte, muss man sich zuerst in das Zentrum des steirischen Bahnverkehrs begeben. Bruck an der Mur und seine wichtige Stellung als Zugstreckenumschlagsplatz lässt mich immer an KAISER JOSEPH UND DIE BAHNWÄRTERSTOCHTER von Herzmanovsky-Orlando denken. Wenn man mit dem Nachtzug nach Italien möchte, kommt man an Bruck an der Mur nicht vorbei. An Rom aber auch nicht, weil dort fahren alle Nachtzüge hin. Allerdings kann man das im Fall von Rom auch irgendwie verstehen. Schau ma amal wies dann ausschaut, wenn der Koralmtunnel fertig ist. Das ist von jetzt gerechnet noch immer in ca. 3 Jahren (und in sehr weiter Ferne von der erzählten Jetzt-Zeit dieser Geschichte), aber ich hab mir auf der Seite vom Bundesministerium für Klimaschutz schon Bilder von der Bohrmaschine angeschaut die das richten wird. Technikbegeisterte sollten sich diese megalomane Tunnelbohrmaschine nicht entgehen lassen (Quelle: https://infrastruktur.oebb.at/de/projekte-fuer-oesterreich/bahnstrecken/suedstrecke-wien-villach/koralmbahn). Von Graz nach Klagenfurt in 45 Minuten. Das ist Freiheit.
Ich mag Nachtzüge und alles, was mit ihnen einhergeht. Die Leiter, um auf die oberen Pritschen zu kommen. Das Rollen der Räder. Das Pfeifen des Schaffners. Das erste Licht in der Früh. Das Zugfrühstück. Der Vulkan heißt außerdem Vesuvio.
© Armin Sauseng 2020-11-24