Allein gelassen

Lilie

von Lilie

Story
Niederbayern

Die Eltern gingen arbeiten, die kleine Uschi blieb allein daheim. Sie sah aus dem Fenster hinüber zum Haus des Vater-Opas. Dort durfte sie nur selten hin. Der schmale Gartenweg war mit Brennnesseln bewachsen, fast so hoch wie Uschi.

Sie öffnete das Fenster einen schmalen Spalt. Vielleicht konnte sie die Nachbarskinder hören. Es waren nur die Regentropfen. Was sollte sie tun? So ein Nachmittag allein war furchtbar lange. Die Mietwohnung lag im ersten Stock eines alten Bauernhauses und war nur über eine lange, dunkle Treppe erreichbar. Die Hauseigentümerin hatte es verboten, dass Uschi Licht machte, das war zu teuer. Die untere Türe ein wenig offenlassen, das durfte sie schon gar nicht. Wenn sie nun also hinausging, musste sie draußen warten bis die Mutter vom Arbeiten heimkam.

Uschi spielte mit der Puppe, der Regen wurde noch stärker. Sie hielt es nicht mehr aus. Lieber nass werden, vielleicht hatte sie ja Glück. Schnell über die Treppe und ab ins Freie. Die Hauseigentümerin schimpfte ihr laut nach. Nichts wie weg, schnell um die nächste Hausecke.

Es war kalt. Wohin? Die älteren Mädchen waren in der Schule. Die Tante war im Spital.

Uschi lief durch den Regen hinüber zum Haus der alten Nachbarinnen. Sie kletterte auf die Hausbank und schaute in die gemütliche Stube mit dem Kachelofen. Die alten Nachbarinnen saßen am Tisch, jede eine kleine Schwester auf den Knien, mit denen sie spielten und lachten. Uschi wusste, dass man sie hier nicht wollte. Das Vordach war schmal und es dauerte nicht lange bis sie von hinten ganz nass wurde. Sie musste es wagen.

Langsam drückte sie die Türschnalle hinunter, ging vorsichtig hinein und grüßte freundlich. Die Schwestern fingen an wie wild zu schreien und um den Stuben-Tisch zu laufen. „Du musst gehen! Sie sind nur so, wenn du da bist. Sonst spielen sie schön miteinander.“

Niedergeschlagen rannte die kleine Uschi ein Stück die Straße hinunter. Kein trockener Platz. Oder doch? Vielleicht bei der hinteren Scheunentüre vom Bauernhaus der Großeltern. Dort war das Vordach breiter. Der Großvater sah sie kommen, öffnete die Türe und sagte zornig: „Verschwinde nach Hause, sonst packe ich dich!“ Nichts wie weg.

Jetzt half alles nichts. Sie musste versuchen ungesehen über die dunkle Treppe in die Wohnung zu kommen. Die Tochter der Eigentümerin spielte im Hausgang und rief sogleich nach ihrer Mutter. Schnell das Licht anzünden und hinauf rennen. Zum Glück brannte es bis sie die vorletzte Stufe erreichte.

Regennass und ganz allein daheim: Uschi träumte davon eine Fee zu sein und sich selbst fort zaubern zu können.


© Lilie 2023-05-09

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Emotional