Alles wie immer – nichts mehr wie es war

Michaela Schmitz

von Michaela Schmitz

Story
Neulengbach 2024 – 2025

‚Alles wie immer‘ (nichts mehr wie es war) ist ein Lied von Ursula Leutgöb aus 2009. Es trifft einfach die Situation dermaßen auf den Punkt – dieses Lied beschreibt es wirklich ganz genau – unfassbar – oder, das Unfassbare in ein Lied umgewandelt. Ich habe mit 20 meine Mutter verloren und das war damals ein ziemlich einschneidendes Erlebnis. Doch ihr Tod war für mich damals anders – ich hatte mein Leben vor mir. Jetzt, wo ich bereits 60 Jahre hier auf Erden sein darf, ist der Tod von Sebastian, der 27 Jahre mit mir war, vollkommen anders. Es ist ganz speziell und wirklich sehr schwer zu vermitteln. Es hat auch etwas leichtes – ich sehe ihn am Ufer sitzen und ich könnte einfach aus dem Lebensstrom aussteigen und mich zu ihm setzen. Auch die Tage rund um seinen Tod und danach – es war eine so hohe Energie da, so eine Urgewalt, wie eine riesige Explosion und trotzdem in tiefster Stille. Vielleicht ist der Tod gar nicht der Tod, so wie wir ihn uns ‚vorstellen‘ (beim VORstellen sieht man bekanntlich eh nichts), vielleicht ist es wirklich wie eine Geburt – da habe ich diese Urgewalt auch erfahren (… jetzt beim Schreiben fällt mir gerade ein, dass Sebastians Geburt mich damals wirklich weggefegt hat. Ich spüre jetzt noch diese unglaubliche Energie, die mich damals als Wehen durchdrungen hat – ganz anders als bei meinen anderen Söhnen) … also – was weiß ich schon, ich kleine Erdenbürgerin. Aber ich mache mich auf den Weg, das Unmögliche = Unfassbare zu erahnen …

Alles wie immer – nichts mehr wie es war. Der Tod ist ein elementares Ereignis. Ich fühle mich – bewusst – aus der Bahn geworfen. Und ich werde auch nicht mehr so, wie es war, zurückkehren. Es ist alles wie immer und doch nichts mehr wie es war.

Ich falle auseinander, es ist nichts mehr im Lot … So fang ich ganz von vorne an, muss alles neu ertasten, will lernen neu zu sehen … (Ursula Leutgöb)

Das Foto bei dieser Geschichte über Sebastian und mich ist eines meiner (ganz ganz vielen) Lieblingsfotos von ihm. Es ist aus 2021 und er war gerade zum ersten Mal reichlich mit passenden Blutkonserven im KH St.Pölten ‚abgefüllt‘ worden. Wir durften mit ihm nach Kärnten in den Urlaub fahren (WIR: Brüder, Mama, Bonusfamilie) und eine entspannte Zeit verbringen, auch wenn wir nicht wussten, wie es mit der Erkrankung weiter gehen würde, was die anstehende Beckenkammpunktion zeigen würde … also viele offene Fragen – aber wir genossen die Zeit gemeinsam. Ich bin so dankbar, jede Sekunde mit meinem Sohn bewusst erlebt zu haben, mir die Zeit für ihn genommen zu haben (ich habe ein sehr erfüllendes ‚Berufsleben‘ und genieße meine Arbeit), es gibt jetzt im Nachhinein nichts zu bereuen – wir hatten unsere guten und auch weniger guten Zeiten gemeinsam und zeitweise hat Sebastian mich wirklich mit seinem ‚was der Körper noch alles aushält und ich nicht nachgebe‘ durch die Hölle gejagt – und gut war es – Sebastian hat jede Sekunde gezeigt, was wichtig ist im Leben – JETZT zu leben – weil ‚das Morgen‘ gibt es (noch) nicht!


© Michaela Schmitz 2025-01-03

Genres
Lebenshilfe
Stimmung
Herausfordernd, Emotional, Hoffnungsvoll
Hashtags