Alles zerbricht

Debris

von Debris

Story

Und dann wird meine Welt nach einer Weile
wieder zu schwer für mich,
sie rutscht mir aus den zitternden Händen,
sie fällt, sie zerbricht,
in tausend Teile.

Und ich weiß,
bald muss ich sie wieder aufbauen,
denn es ist nun mal meine Welt,
die hier zersplittert herumliegt,
überall.


Am meisten tut es weh, zu sehen, wie alles zerbricht.
Nicht auf einmal, nicht am Tag der Diagnose und auch nicht in den zwei Wochen danach. Mir ist es sogar ziemlich lange gelungen, möglichst viel, möglichst lange, zusammenzuhalten.

Aber alles zerbricht.
Als wäre dein Leben über Nacht zur Baustelle erklärt worden: Es wurde ein Fehler im System gefunden und alles für den Abriss freigegeben. Noch passiert nichts, noch hat man es nicht realisiert und versucht, den Schein zu bewahren. Ein Unterfangen, das zum Scheitern verurteilt ist, als wäre ich ein Architekt, der verzweifelt versucht, ein marodes Gebäude zu reparieren. Zunächst denkt man, es geht nur um die Gesundheit, nur der Körper wäre betroffen, etwas, das man mit Medikamenten und der Akzeptanz von kleinen Veränderungen hier und da bewältigen kann. Doch eine schwere Erkrankung kommt immer mit mehr Nebenwirkungen, als auf die Packungsbeilagen der Medikamente passen würde, für die man erst die Ernährung, dann die Schlafgewohnheiten und schließlich den ganzen Alltag umstellt. Meistens sieht man nur das angepasste Leben chronisch Erkrankter, die scheinbar gut mit ihren Erkrankungen leben, wie durch einen Weichfilter. Noch häufiger sieht man, vor allem online, sogar nur ein glanzvolles Leben, ganz ohne Erkrankung.
Denn obwohl fast jeder zweite Mensch in Deutschland chronisch krank ist, sieht man es vielen nicht an. Wir erholen uns in unseren eigenen vier Wänden, nehmen unsere Medikamente hinter dem Vorhang, alles, um diese „ganz normalen“ Momente auf der Bühne, im wahren Leben, erleben zu können. Doch diese Momentaufnahmen zeigen nie die ganze Realität:

Alles zerbricht.
Das gesamte Leben ändert sich, wenn man versucht, eine chronische Erkrankung hineinzubauen. Wenn das Fundament fehlerhaft ist, reicht es eben nicht, nur ein Zimmer zu renovieren. Das ganze Haus muss neu gebaut werden. Ich stelle mir auch nach einem Jahr noch oft die Frage, wie viel Raum das Wort „chronisch“ in meinem Leben einnehmen darf. Man darf dabei nicht davon ausgehen, dass dessen Bedeutung immer klar ist. Die Erkenntnis, dass „chronisch“ für immer heißt, gerät in Vergessenheit, mitunter tagelang. Aus dem Nichts kommt sie dann, wie ein Blitz trifft sie mich jedes Mal aufs Neue.

Und dann zerbricht alles.

© Debris 2024-09-02

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