von Reinhard Pape
Mehrmals in der Woche raffe ich mich auf, um für 30 Minuten im kühlen Nass meine Runden zu drehen.
Aus dem Schwimmerbecken habe ich freie Sicht zum Nichtschwimmerbecken und blicke während meiner Runden auf einen spindeldürren Lehrer, wie er sich abmüht, einer Jungenbande das Schwimmen beizubringen. Am langen Arm ist er von oben bis unten tätowiert, womit ich als 76jähriger so meine Probleme habe. Unterschiedliche Lebensläufe eben. Dann sehe ich, wie er liebevoll auf einen Jungen mit Migrationshintergrund zugeht, der weiter entfernt ängstlich auf einer Bank kauert und sich vor dem kühlen Nass fürchtet. Er kriegt es hin, ihn zur Bewegung im Wasser zu überreden. Hut ab! Später bin ich in meiner Umkleidekabine, der Lehrer inmitten der lärmenden Kids in der Sammelkabine gegenüber, unvermittelt höre ich seine Stimme: “Wir können doch alle froh sein, dass wir eine Heimat haben!” Womöglich war er Pädagoge aus einem nahen Kinderheim. In jedem Fall war ich gerührt, mit welcher Klarheit und Empathie dieser ‘faule Sack’ -wie Ex-Kanzler Schröder die Lehrer mal bezeichnet hat- seinen Beruf ausübt und in keiner Weise Dienst nach Vorschrift macht. Das ist einfach schön!
An einem der nächsten Tage bin ich in der Sammelkabine und creme mich von oben bis unten nach dem Bad mit einer bodymilk ein, zusätzlich habe ich noch eine Cremebürste, mit der man als Ungelenkiger sogar den ganzen Rücken erreicht. Für mich ist das ein wiederkehrendes Ritual. Ein älterer Herr wendet sich mir zu und lobt mich, wie gut ich das mache. Ich reagiere etwas verlegen und verstreiche die Cremereste von meinem Bauch. Das nimmt er zum Anlass mir zu raten, ich solle mehr Eiweiss tagtäglich zu mir nehmen, dann würde ich schlanker werden. Das fand ich nun nicht so toll, zumal ich zuhause schon eine treusorgende Frau habe, die gerade jetzt in der Weihnachtszeit meine Raubzüge zur Keksdose aufmerksam verfolgt. Sein Bauchansatz war im kritischen Vergleich meinem durchaus ähnlich, also, was soll’s? Bevor der Ratgeber dann die Kabine verläßt, wendet er sich mir nochmal zu und sagt: “Das rät Ihnen ein Mediziner!” Na, jetzt habe ich aber die Hacken zusammen zu schlagen.
Heute treffe ich den Mediziner wieder, dieses Mal im Wasser. Meistens schwimme ich seit 30 Jahren auf dem Rücken, um den Halswirbel zu entlasten. Klar, dass ich mich dabei manchmal umdrehe, um zu sehen, ob auf meiner Bahn mir ein Schwimmer entgegen kommt. Der Mediziner ist von mir weit entfernt, also keine Kollisionsgefahr. Am Beckenrand spricht er mich als junger Mann an und hält mir einen Vortrag, wie ich am besten meine Spur beim Schwimmen einhalten kann, nämlich durch Fixierung des Deckenbalkens.Ich erkläre ihm, dass ich mich umgedreht hätte, um nicht mit ihm zusammenzustoßen: “Na, dann ist das ja klar!” – so seine Antwort. Spannend, was ich in der nächsten Zeit noch von ihm zu erwarten habe, vielleicht beim Abseifen in der Dusche? Vielleicht verwende ich keine dermatologisch getestete Seife, mal abwarten.
© Reinhard Pape 2021-12-29