von LilyWitt
Wir sitzen in dem Café, in dem wir vor neun Jahren unser erstes Date hatten, in dem er mir vor sechs Jahren den Antrag gemacht hat. Nun sitzt er mir gegenüber in dem braunen Cordshirt, das ich ihm letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt habe. Guckt mich an mit diesem Blick, der sich vor ein paar Jahren langsam in unsere Beziehung eingeschlichen hat. Gewohnheit. In dem Blick liegt immer noch Liebe, aber es ist diese alltägliche, komfortable Liebe, die immer noch existiert, weil es zu unbequem ist, sie nicht zu fühlen. Als ich ihn über die befleckte Getränkekarte hinweg ansehe, merke ich dieses nagende Gefühl der Unzufriedenheit. Der Alltag fühlt sich manchmal an wie eine Zwangsjacke, die nicht mit mir mitgewachsen ist und mir nun die Luft zum Atmen nimmt. Ich sehne mich nach mehr, nach der aufregenden Zeit zu Beginn unserer Beziehung, bevor Liebe dasselbe wie Gemütlichkeit war.
Das krause Haar in die Stirn fallend fragt er mich, ob ich mich schon entschieden habe, was ich trinken möchte. Er fragt aus Routine, aus Höflichkeit, doch er weiß genau, dass ich letzten Endes einen Cappuccino mit Hafermilch bestelle. Genau wie ich weiß, dass er einen Tee bestellen wird, weil er „nicht so viele Milchprodukte zu sich nehmen sollte“. Wir wissen beide, dass er spätestens heute Abend vor dem Fernseher dem Vanillepudding zu Hause nicht widerstehen kann. Aber wir haben unsere feste Routine, er bestellt Tee, ich sage nichts dazu.
Seine Augen sind so lieb und warm, wie er mich über den Rand der Brille ansieht, so vertraut. Ich kenne jeden seiner Gedanken und er meinen. Er ist sich vollkommen bewusst, dass ich manchmal zweifle und mich frage, ob es das schon war. Ob da noch was kommt oder ob das nun die Endstation ist im Leben. Mit ihm. Ein kurzer Blick über die Speisekarte und ich sehe, dass er grübelt. Über uns. Genau wie ich. Kurz frage ich mich, ob ich beunruhigt sein sollte, ob das der Moment ist, an dem mein Herz zu rasen beginnen sollte, weil wir beide zum ersten Mal gleichzeitig ans Schlussmachen denken. Immer noch ist da diese Wärme in seinen vertrauten Augen und ich erwidere sein leichtes Lächeln. Wir kommen zu derselben Erkenntnis, ich sehe es in der Art, wie seine Schultern sich entspannen, obwohl mir kaum aufgefallen war, dass sie zuvor noch nach oben gezogen waren. Wir werden uns nicht trennen. Viel zu gemütlich ist die Routine, wir beide viel zu bequem, um etwas daran zu ändern. Ich werde hier sitzen, meinen Cappuccino trinken, ich werde grübeln, zweifeln, Entscheidungen treffen und dann werden wir zufrieden gemeinsam nachhause gehen.
Eine Kellnerin kommt an unseren Tisch, die Haare zu einem Dutt aufgetürmt, ein müdes Lächeln auf den Lippen. „Einen Cappuccino mit Hafermilch, bitte“, sage ich, die Karte von mir wegschiebend und nicke höflich, als sie meine Bestellung auf einem vergilbten Schreibblock notiert. Sie sieht vom Papier auf und ihn an. „Ich hätte gerne einen großen Latte Macchiato“. Überrascht wende ich mich ihm zu und ziehe die Augenbrauen in die Höhe. Wieder zückt die Kellnerin ihren Kugelschreiber und kritzelt seine Bestellung auf den Block. Sie bekommt das breite Lächeln, das er mir zuwirft genauso wenig mit, wie die Last der Zweifel, die auf einmal weniger werden.
© LilyWitt 2025-02-11