Almenrausch und Pulverschnee

MISERANDVS

von MISERANDVS

Story

Vati war kein schlanker Mensch. Er war zwar nicht dick, aber er war deutlich untergroß. Ok, Vati war dick. Dennoch war er überraschend sportlich.

Als er mir das Skifahren beibringen wollte, fuhren wir zum örtlichen Idiotenhügel. Vati knallte sich die Bretter an die Schuhe, und beides war optisch klar als 70er Jahre-Technik erkennbar. Ich scheiterte passionabel mehrfach am Schlepplift, will heißen: Ich landete im Schnee, kurz nach dem Einstieg. Vati fand das ärgerlich. Also mahnte er mich, wenn ich jetzt nochmal rausfallen würde, dürfte ich zu Fuß nachhause laufen. Mit vollem Körpereinsatz gelang es mir doch, den Mount “Kackhaufen” zu bezwingen. Mit beiden Händen an den Bügel gekrallt, auf dem Bauch nach oben geschleift werdend, während Vati pfeifend in die Landschaft blickte, zwar, aber es gab ja keine Haltungsnoten. Dann stand ich auf der Piste und blickte zitternd auf die knapp 150m lange Abfahrt des Todes. Nein, ums Verrecken würde ich da nicht runterfahren. Wie denn auch? “Schau mir zu, und mach’s mir nach.”, lachte Vati, und dann wedelte er in ein paar flockigen Schwüngen ins Tal. Ich war ehrlich beeindruckt, dass der moppelige Leib so viel Eleganz an den Tag legen konnte. Das sah richtig edel aus, wie er das machte. “Wirds bald?”, hörte ich Vati von unten brüllen. Bald war relativ, aber doch in weiter Ferne. Wenn ich vielleicht einfach stehenbliebe, dann würde er mich doch bestimmt holenkommen, mein Vati, dachte ich.

Diese Theorie verwarf ich allerdings nur Minuten drauf, als ich sah, wie Vati seine Skier ins Auto verlud, und aus dem Auspuff kurz draufKondenswasser aufstieg. Der lässt mich hier zurück! Es wird bald dunkel. Ich werd von einem Wolf gefressen, von einem Elch geschändet, von einem Dachs ange-lulut! Ganz bestimmt. Dass es die Viehcer bei uns alle nicht gab, war zweitrangig. Vati drückte aufs Gas, der Motor heulte auf. Ich musste da irgendwie runter, wenn ich nicht im Frühjahr mit der Schmelze langsam ins Tal gammeln wollte. Also schloss ich die Augen, drückte die Skier zusammen und rutschte langsam los. Die folgenden Sekunden sind nur mehr rudimentär abgespeichert, weswegen ich sie einfach auslasse. Als es mich am Fuß des Hügels schließlich vorschriftsmäßig zerlegte, und ich mich gefühlt knapp unter Schallgrenze in die Mischung aus eisigem Schnee, Schotter und Kuhscheiße-Trampelpfad fraß, rollte Vatis Auto schon langsam an.

Keine Zeit zum Heulen! Ich warf meine Skier in den Kofferraum und hockte mich, um Atem ringend, ins Auto.

Vati sprach kein Wort, sein Blick allerdings sprach Bände. Sein eigen Fleisch und Blut – zu blöd für alles.

Ich hab das mit dem Skifahren nie richtig gelernt. Der Schul-Ski-Kurs war Mist, und ich fragte mich ohnehin, wozu man Skifahren können sollte, wo die globale Erwärmung damals sowieso grade groß im Kommen war.

Ich hab viel von Vati gelernt in meinem Leben. Es waren keine leichten Lektionen. Aber wie er immer sagte: “ ‘s Leben is hart in die Berg’, und nur die Harten kommen durch.”

© MISERANDVS 2021-05-04

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