ALS DAS CHRISTKIND VERSCHWAND

gerki

von gerki

Story

Klingelingeling – das Glöckchen läutete und voller Spannung gingen wir zur Wohnzimmertüre. Diese öffnete sich und ein lähmender Schreck überfiel mich, völlige Leere!

Was war geschehen? Unsere Wohnung hatte eine WohnkĂĽche, einen Vorraum, von dem man in ein Wohnzimmer ging. Daran schloss sich das Schlafzimmer an.

Immer wenn es weihnachtlich wurde, begann die geheimnisvolle Zeit und in der Woche vor dem Heiligen Abend war es uns Kindern verboten, das Wohnzimmer zu betreten, weil ja das Christkind dort schon arbeitete. Da wir aber alle im Schlafzimmer schliefen, gab es jeden Abend eine spannende Prozedur. Mutti band uns eine Augenbinde um, Vati nahm uns auf den Arm und trug uns durch das Wohnzimmer ins Schlafzimmer, wo wir gleich ins Bett mussten.

Wie sehr strengte ich da alle meine Sinne an, um irgendwie etwas von dem Geheimnisvollen zu erfassen. Mmm, es roch so gut nach Tannenreisig und irgendwie auch oft nach Lebkuchen. Ich spitzte meine Ohren: hatte da nicht etwas ganz ganz leise geklingelt? Könnte es das Christkind gewesen sein? In völliger Erwartung und Spannung schlief ich immer rasch ein, damit das Christkind ungestört weiter arbeiten konnte.

Eines Tages hielten mein Bruder und ich diese Spannung nicht mehr aus. Wir beschlossen durchs SchlĂĽsselloch ins Wohnzimmer hineinzuschauen. Es kribbelte im Bauch bei diesem Gedanken und obwohl die Eltern gerade nicht zu Hause waren, kam ich mir beobachtet vor. Werden wir das Christkind sehen? Was wird geschehen, wenn wir durchs SchlĂĽsselloch spähen? Man hatte uns gesagt, dass das Christkind wegfliegen wird, falls wir in das Zimmer gehen. Aber wenn wir nur einen Blick durchs SchlĂĽsselloch riskieren? Wir taten es – was fĂĽr ein prachtvoller Anblick war der schön geschmĂĽckte Christbaum!

Plötzlich ging die Wohnungstüre auf, die Eltern standen da und sahen unsere Tat. „Jetzt ist das Christkind sicher weggeflogen“, sagte meine Mutter, „das werden wir ja morgen am Heiligen Abend sehen.“ Was für ein Schreck und eine Reue durchfuhr mich in diesem Augenblick.

Und dann kam er der Heilige Abend. Wie immer wurde zuerst in der Küche gegessen. Ich konnte vor Aufregung kaum etwas essen und dann erklang das Glöckchen! Wir rannten zum Wohnzimmer – und standen erstarrt vor einem völlig leeren Zimmer. Keine Dekoration, keine Geschenke, kein Weihnachtsbaum! Das Christkind war wegen unserer Dummheit mit allem verschwunden. Da gab es einen Schwall von Tränen bei meinem Bruder und mir und schluchzend erklärten wir, wie leid uns das tat. Aber hörte das Christkind diese Not meines Herzens?

Meine Eltern schickten uns nach einer ernsten Belehrung wieder in die Küche, wo wir weinend und zitternd einige Zeit verharrten. Dann ertönte es noch einmal:Klingelingeling. Wieder traten wir vor die Wohnzimmertüre und warteten. Als sie sich öffnete, machte mein Herz einen freudigen Sprung. Da stand er, der wunderbare Christbaum und funkelnd strahlten die brennenden Kerzen. Darunter lagen die Geschenke!

© gerki 2022-08-28

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