Er kennt alles, weiß alles, riecht alles: Sichrovsky, der Heinzdampf in allen kulturellen Gassen, der sich, wie er immer wieder gern kokett betont, nur beim Weineinschenken ein bisserl blöd anstellt. Zweimal im Monat gönnt sich der Chefredakteur des Nachrichtenmagazins “News” und Sonntags-Kolumnist der Kronenzeitung einen Sidestep ins Fernsehen mit dem hehren Anspruch, den öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag zu erfüllen. “erLesen” heißt das Büchermagazin auf ORF III, zu dem er eine illustre Viererrunde dorthin einlädt, wo die Büchertürme wie Stalagmiten in den Himmel wachsen – beim 48er Tandler, dem Altwarenmarkt der Stadt Wien.
Wenn Sichrovsky ruft, kommen sie alle: arrivierte Autor*innen und Shooting-Stars, garniert mit prominenten Schauspieler*innen und Politiker*innen, die ein Buch herausgebracht haben. (Ich weiß, dass Sie was gegen Binnen-I und Gendersternchen haben, Herr Sichrovsky, aber unkorrekt dürfen S‘ ja eh‘ in Ihrer eigenen Kolumne sein!) Ausgestrahlt wurde die Sendung zum ersten Mal 2010, damals noch auf TW1, dem Wetterkanal.
Gutwetter macht Sichrovsky auch bei den Gästen. Ehe die elitistische Plauderei beginnen kann, muss nach der umständlichen Sitzplatzzuweisung die Getränkefrage geklärt werden. Und dabei kommen dem sprachverliebten Schwadroneur Formulierungen aus, für die ich ihn abbusseln könnt‘. Zum Beispiel, wenn er versucht, Michael Heltau, dem Doyen des Wiener Burgtheaters, zu erklären, was Rivella ist: “Ein Schweizer Kracherl, ein Almdudleroid sozusagen“.
Da verzeihe ich ihm im selben Atemzug den starren Teleprompter-Blick, die besonderes Interesse vorgebende schiefe Kopfhaltung und den unvermeidlichen Satz: „Na, und sag’n S‘, wie gefoit Ihnen denn des Bild vom Oskar Stocker?“ Der steirische Maler fertigt eigens für jede Sendung ein überdimensionales (meist) Schwarz-Weiß-Porträt eines Gastes an, das als signierte verkleinerte Kopie zum Preis des Publikumsrätsels wird. Die Antworten fallen nicht immer zur Freude des Fragestellers und vermutlich auch nicht des Künstlers aus. Zwischen einem überzeugten “Ich bin beeindruckt”, einem diplomatischen “Eine gewisse Ähnlichkeit ist zu erkennen” und einem ungläubigen “Waaas? Das soll ich sein?” tut sich die ganze Bandbreite des Erstaunens auf.
Besonders hart erwischte es die deutsche Bestseller-Autorin Ildikó von Kürthy. “Oh, der junge Handke”, rief sie im Brustton der Überzeugung beim Anblick ihres Porträts aus. “Kommt der auch noch?” Da blieb sogar dem sonst um keine Antwort verlegenen Sichrovsky der Mund offen. Als sie das Bild auf Facebook veröffentlichte, brach ein Entrüstungssturm ihrer Verehrerinnen los. Beschwichtigend postete Ildikó von Kürthy: „Ich habe gefragt, ob ich das Gemälde bekommen könnte. So was muss man vom Markt holen, ehe es irgendwo ernsthaften Schaden anrichtet” und schob drei Smilies hinterher. “Kunst ist eben Geschmackssache.”
Foto: Screenshot erLesen
© 2021-05-29