Als ich HÖREN lernte

Daniela Krammer

von Daniela Krammer

Story

Es war 8 Uhr morgens. Erste Stunde „Gehörbildung und Harmonielehre“. Der Professor stürmte voll Elan ins Klassenzimmer und baute sich vor uns auf. Ein strenger Blick in die Runde: “ Meine Damen und Herren, einige von Ihnen hätten, wenn es nach mir ginge, die Aufnahmeprüfung an die Hochschule nicht bestanden. Ich hoffe, Sie wissen, wer gemeint ist, denn ich verspreche Ihnen, wenn SIE sich nicht besonders anstrengen, werden SIE dieses Semester bei mir nicht positiv abschließen!“

Ich wusste ganz genau, dass ich eine von den Großbuchstaben war. Ja, ich hatte den Hauptfachprofessor für klassisches Saxofon überzeugt, dass ich würdig für ein Studium in seiner Klasse war, aber meine ganze Vorbildung in Gehörbildung und Harmonielehre hatte ich in wenigen Privatstunden bei einem Jazz-Pianisten in Wels erworben. Tapfer habe ich in dessen Wohnzimmer am Sofa versucht, Intervalle und Akkorde hörend zu erkennen, einfache Jazztunes zu transkripieren, aber mit der Vorbildung der Studierenden, die direkt aus dem Musikgymnasium kamen, konnte ich nicht mithalten.

Das hatte ich schon während der Aufnahmeprüfung bemerkt. Den Teil mit Harmonielehre konnte ich ja noch einigermaßen selbstständig erledigen, aber als es dann um Gehörbildung ging, war ich sehr dankbar, dass mir gegenüber ein angehender Organist saß, für den Akkorde-Hören ein Leichtes war. Als der Professor während der Prüfung anfing, statt den von mir mühsam erlernten einzelnen Intervallen komplexe Akkorde vorzuspielen und aufschreiben zu lassen, wäre ich am liebsten im Boden versunken. Zum Glück bereitete es mir überhaupt keine Probleme, verkehrt herum zu lesen. Mein Gegenüber erkannte meine Panik und schob seine Arbeit ein Stück in die Mitte, damit ich leichter mitlesen und abschreiben konnte.

So leicht hatte ich aber nicht vor, die Nerven wegzuschmeißen. Ich arbeitete wirklich hart, um den Vorsprung der anderen aufzuholen. Der „Novus Vetus“ (eine sehr anspruchsvolle Schule für Gehörbildung) war mein ständiger Begleiter und jedes Klavier, das mir zur Verfügung stand, wurde zum Üben benutzt. Der Herr Professor bemerkte meine Bemühungen, aber richtig erobert habe ich ihn mit einer Hausübung. Er diktierte vom Klavier aus eine Tonfolge und sagte uns, wir sollen sie mit dem Erlernten mehrstimmig arrangieren.

Bei der Tonfolge handelte es sich um das alte Kinderlied „Im Märzen der Bauer“. In der nächsten Stunde musste jeder Student zum Klavier kommen, um das Ergebnis seiner Arbeit zu präsentieren. Manche hatten wunderschöne Choräle geschrieben, manche verwendeten den Kontrapunkt und andere hochromantische Akkorde. Ich hatte als Einzige das Lied als Jazz-Tune arrangiert und konnte es auch ganz passabel vorspielen. Erst jetzt war der Professor überzeugt, dass ich es wohl auch schaffen könnte.

Als eingefleischter Klassiker und Kirchenmusiker mit absolutem Gehör war er dennoch offen für andere Stilrichtungen geblieben. Dafür bin ich ihm ewig dankbar.

© Daniela Krammer 2020-01-11