Als mein Wohlfühlradius zusammenbrach

Entscheidungen treffen war noch nie meine Stärke. Lebensverändernden Entscheidungen bin ich so gut es geht aus dem Weg gegangen. Manchen können aber nicht ignoriert werden.

Kurz zu meiner Person. Ich hatte mein Leben schon mit 13 Jahren durchgeplant. Da ich ein Scheidungskind bin und meine Schwester und ich uns später einmal für das Haus entscheiden müssen, war für mich immer klar, ich werde mein Elternhaus nie verlassen. Natürlich hatte ich in den folgenden Jahren viele neue Ideen, wie das Haus renoviert oder umgestaltet werden könnte. Auch für meine Familie war klar, dass ich nie diesen Ort verlassen werde. Meine Schwester meinte immer, dass mein Wohlfühlradius von Krems bis St. Pölten reiche – wenn ich einmal weiter weg auf Urlaub gefahren bin, war das für viele Familienmitglieder ein außergewöhnlicher Schritt.

Ich sehe meinen Heimatbezug nicht als etwas Schlechtes an. Ok, ich könnte etwas offener für Neues sein – aber wofür? Ich fühle mich sozusagen als Bürgermeisterin meines kleinen Kaffs.

Nun hab ich seit über 4 Jahren einen Freund. Ich mochte vor allem seine Heimatliebe an ihm. Wie konnte es dann passieren, dass er sich für eine Stelle im Ausland beworben hat?! Nachdem meine Welt gefühlte 20 Mal zusammengebrochen ist, habe ich diesen Schritt akzeptiert und versuche ihn nun so gut es geht zu unterstützen.

Was ist jetzt aber mit mir?

In einem Jahr bin auch ich mit meinem Studium fertig. Eine Fernbeziehung ist nicht besonders einfach – schon gar nicht in Zeiten von Corona. Soll ich diesen schweren Schritt wagen und ein neues Leben im Ausland beginnen? Soll ich meinen selbsternannten Titel als Bürgermeisterin zurücklegen?

Meine aktuelle Stimmung ist mit dem Wetter zu vergleichen. An einem Tag bin ich hoch motiviert nach Leipzig zu ziehen, an einem anderen Tag überwiegt mein Wohlfühlradius. Da To-do-Listen an meiner Tagesordnung stehen, wirft mich diese Ungewissheit aus der Bahn.

Wenn ich nicht mehr weiß, was der richtige Weg ist, suche ich Unterstützung bei meiner Familie. Nach einem längeren Gespräch bezüglich Ärtze, Versicherungen, Berufsmöglichkeiten und vielem anderen Kram, mit dem ich mich eigentlich nicht beschäftigen möchte, habe ich einen Entschluss gefasst. Ich werde ins kalte Wasser springen und ein neues Leben in Leipzig beginnen.

Bei dem letzten Besuch meines Freundes ist mir klar geworden, dass er meine neue Familie ist und meine Heimat dort ist, wo er sich aufhält. Vielleicht verschiebt sich mein Wohlfühlradius einfach um 594 Kilometer. Ich hätte auf jeden Fall das Zeug dazu, mich dort als geheime Bürgermeisterin aufzustellen und einstimmig mit einer Stimme gewählt zu werden.

Ausschlaggebend war die Unterstützung und die Liebe meiner Familie. Zu wissen, dass alle hinter mir stehen, gab mir das Gefühl, mich für das Richtige zu entscheiden.

Leipzig, mach dich auf eine selbsternannte geheime Bürgermeisterin bereit!