Als niemand bemerkte, dass ich da war.

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von RatlosGeschichten

Story

Es war ein Mittwoch. Das weiß ich deshalb noch, weil ich nicht wusste, ob ich glĂŒcklich oder unglĂŒcklich sein sollte, weil es Mittwoch war.

Ich weiß auch noch, dass ich mich weigerte aufzustehen, bis es schon seit zehn Minuten Zeit war aufzustehen. Ich hatte mich aus meinem Bett geschĂ€lt. Von der WĂ€rme in die KĂ€lte. Ich schaute auf mein Handy – keine Anrufe, keine Nachrichten – dann sammelte ich mein Gewand ein und taumelte ins Bad. Danach frĂŒhstĂŒckte ich und ging nochmal ins Bad. Nochmal kontrollieren, dass alles passte. Ich schnappte mir meinen Rucksack, sagte noch einmal „TschĂŒss“ und stand noch kurz und blickte in das stille Haus. Dann drehte ich mich um und ging. Draußen war es warm und sonnig. Nicht unangenehm warm. Auf der Straße waren wenige Menschen unterwegs. Ich schaute mir ihre GewĂ€nder an, ihre Schuhe, ihre RucksĂ€cke. Sie schauten mich nicht an. Es war schön. In der U-Bahn fand ich einen freien Platz zum Stehen. Niemand beachtete mich. Alle sind immer zu sehr mit sich selbst beschĂ€ftigt. Versinken in ihren Handys, ein paar wenige in BĂŒchern oder sie reden mit Bekannten. Manche schauen aus den Fenstern oder ins Narrenkastl. Da beachtet niemand jemanden genauer. Besonders niemand Fremden. Besonders, wenn man nichts Auffallendes an sich hatte, nichts Besonderes. Ich fiel nicht auf. Von der U-Bahn Station ging ich zur Arbeit, zu meinem Arbeitsplatz. In dem Raum, in dem ich arbeitete, war sonst noch niemand. Ich setzte mich hin und sah in den Kalender. An dem Tag hatte ich nichts zu tun. Ich saß da, den Kopf auf den HĂ€nden abgestĂŒtzt, und blickte aus dem Fenster. Sonnenschein blinzelte mir entgegen. Ich hörte, wie weitere Mitarbeiter das BĂŒro betraten, sich grĂŒĂŸten und redeten. Ich schaute aus dem Fenster. Dann schaute ich mich um. WĂŒrde es irgendjemanden auffallen? Ich stand auf. Packte meine Sachen. Ich schaute mich nochmal um und murmelte eine Verabschiedung. Ich marschierte ĂŒber den knarrenden Holzboden und öffnete die TĂŒre. Ein letztes Mal schaute ich mich um, bevor ich hinter mir die TĂŒre schloss.

Soweit ich weiß, hat niemand mein Verschwinden bemerkt. Das hat mich zu Anfang traurig gestimmt und ich war enttĂ€uscht. War denn niemandem aufgefallen, dass ich nicht mehr dort gehe, wo ich tagtĂ€glich und zur selben Uhrzeit gehe? War denn in der Arbeit nicht aufgefallen, dass ich nicht mehr auf dem Platz sitze, auf dem ich tagtĂ€glich sitze? War nicht aufgefallen, dass ein Mitmensch einfach nicht mehr dort war, wo er sein sollte? Wo er immer war? Fiel denn niemanden auf, dass etwas, jemand, fehlte?  Dann traf mich die Erkenntnis. Wenn es niemandem auffĂ€llt, dann kann ich tun und lassen, was ich will. Ich kann sein, wo auch immer ich will. Ich kann sein, wann auch immer ich will. Ich kann sein, wer auch immer ich will. Ich brauche nicht darauf zu achten, ob ich in den Rahmen passe, weil niemand bemerken wĂŒrde, wenn ich aus dem Rahmen steige und mich gemĂŒtlich an einen leeren Flecken setze und einfach all das schöne genieße. 

Der Tag, an dem niemand bemerkte, dass ich da war, war der Tag an dem ich bemerkte, dass ich frei war.

© RatlosGeschichten 2024-02-25

Genres
Romane & ErzÀhlungen