Als Robin Hood strumpfsockig im Klassenzimmer

Karolin_Scharlow

von Karolin_Scharlow

Story

Am Vorabend des Schulfaschingsfests der 3b stand ich vor dem Spiegel in unserem Hobbykeller, wo meine Verkleidungskiste stand. Welches Kostüm sollte ich wohl für morgen wählen? Mein Prinzessinnenkleid war selbstverständlich noch Teil meines Repertoires. Jedoch war ein weiteres Kostüm dazugekommen: Ein Robin-Hood-Kostüm in Grün, Weiß, Schwarz und Braun. Mit meinem Hut, unter dem ich meine langen Haare verstecken konnte, die ich früher so stolz getragen hatte. Zugegeben, das Kostüm war nicht mir, sondern meinem Bruder geschenkt worden. Wer Robin Hood gewesen sein sollte, wusste ich auch nicht. Dennoch beschloss ich, dass dies meine Verkleidung für den nächsten Tag sein sollte. Ich versuchte mir krampfhaft den Namen Robin Hood einzuprägen, um mein Kostüm wenigstens benennen zu können.

Doch woher kam dieser plötzliche Umschwung und meine Abneigung für Prinzessinnen? Zog ich den Hut meines Robin-Hood-Kostüms auf, hatte ich das Gefühl, für einen kurzen Augenblick ein Mann sein können. Oder besser gesagt, dass was ich mir unter einem Mann vorstellte: Jemand Starkes, dem alles gelingt. Auch die Eins in Mathe. So wollte ich auch sein.

Immer, wenn ich mit meiner besten Freundin verkleiden spielte, wollte sie der Prinz sein und ich sollte die Rolle der Prinzessin übernehmen. Schnell merkte ich, dass es äußerst langweilig war, sich jedes Mal aufs Neue retten zu lassen. Manchmal versuchte ich, meinem Schicksal einer eingekerkerten Schönheit zu entkommen. Gleich wurde ich jedoch in die Schranken gewiesen, dass die Prinzessin so etwas nicht machen könne. „Warum nicht?“, fragte ich verdutzt. „Das können die Prinzessinnen in den Filmen und Märchen auch nie“, entgegnete mir meine Freundin „Deswegen kannst du es jetzt auch nicht.“

Diese Erklärung schien mir nicht logisch. Ich hatte genug Filme gesehen, in denen die Frauen sehr wohl als Kämpferinnen auftraten. „Aber Mulan gibt es doch auch“, erwiderte ich. „Ja, aber Mulan ist keine Prinzessin im rosa Glitzerkleid!“ Damit hatte sie wohl oder übel recht. Starke Frauen verkleideten sich als Männer, um erfolgreich zu sein.

Daher hüpfte ich am darauffolgenden Tag munter als Robin Hood durch das Klassenzimmer der 3b. Strumpfsockig wohlgemerkt, um meine „Stiefel“ zu tragen, die nur aus Chaps bestanden und sich leider nicht über meine Winterstiefel ziehen ließen. Nur mit den echten „Stiefeln“ konnte ich schließlich ein vollwertiger Robin Hood sein. Bei der Polonaise trat mir leider einer meiner Klassenkameraden mit voller Wucht auf die Füße, weswegen ich mit blutenden Zehen mit meiner Familie in den Ski-Urlaub aufbrechen musste. Wie das Ganze passiert war, verschwieg ich meiner Mutter gegenüber lieber. Immerhin spüren harte Männer wie Robin Hood keinen Schmerz. Und Kämpferinnen wie Mulan übrigens auch nicht.

© Karolin_Scharlow 2023-08-29

Genres
Romane & Erzählungen, Biografien
Stimmung
Herausfordernd, Komisch, Informativ, Inspirierend, Reflektierend
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