von Daniela Neuwirth
lacht Lilly, als ihr eine weitere Freundin die Augen von hinten zuhält und fragt, wer sie sein könnte. Der samtig-orientalische, schwere Luxusduft, der Ring am richtigen Finger, das großgliedrige Armband und die zarten, knochigen Handgelenke haben sie verraten. „Ich wusste es.“ Lilly steht auf und umarmt die bisschen kleinere Powerfrau, deren Tochter mit ihrer jüngsten Tochter elf Jahre täglich im gleichen Klassenzimmer verbrachte und auch sonst viele schöne Dinge unternommen hatte. Ihre vollen Lippen hält sie ruhig, der goldblonde, längere Pagenkopf ist perfekt geföhnt, sieht aber trotzdem natürlich aus.
An ihr hat sich schon so manch männlicher Kollege die Zähne ausgebissen, weil ihre Statur nicht auf die Businesslady hinweist. „Pfff! Dass du da bist… ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, versucht Lilly geehrt einen Willkommensgruß, bis sich die Freundin neben die Blondine setzt, die mit ihr demselben Lionessen-Club angehört, sie sich immer noch regelmäßig treffen.
Drei Blondinen sitzen inzwischen vor ihr. „Ich konnte doch nicht verheimlichen, dass du heute da bist.“ verteidigt die Jungsmama ihr Ansinnen, allen ein Wiedersehen zu vergönnen, nicht nur sich selbst. „Du sagtest, nur schnell auf ein Eis…“, lacht Lilly. „Ja, wir bestellen dir ein Eis!“, schnattern die anderen einig und lachen. „Sag! Welches magst du? Ich stehe gerade hier“, ruft die nächste drei Schritte entfernt, die gerade eine Prosecco-Runde ordert. „Waaas! Du bist auch hier?“, strahlt Lilly der großen Braunhaarigen entgegen und springt auf.
Deren Tochter war mit der Ältesten über ein Jahrzehnt in der Klasse. Sie kommt nicht gleich näher, sondern hält noch einen Moment Abstand. Sie ist groß, stark und selbständig. „Ich bin immer da.“ Alle rücken zusammen, damit eine fünfte Person beim Tisch Platz findet.
„Was gibt es Neues?“, erkundigt sich Lilly. Die Braunhaarige zeigt Fotos von den beiden Töchtern, die natürlich auch beide inzwischen erwachsen sind. „Hübsche, junge Frauen nun.“ Es ist so weit, die Tränen fließen über die Wangen, die Lippen und tropfen auf den Tisch.
Es lässt sich nicht mehr aufhalten, weil ihr klar wird, wie groß ihre eigenen Töchter inzwischen sind. Es zeigt sich, dass es Freundinnen braucht, damit man mit ihnen mitwachsen kann. Die Braunhaarige hat natürlich immer für alle alles Brauchbare mit und greift in ihrer großen Tasche nach Taschentüchern. „In was baden sich die Leute auf Sylt, wenn du die ganze Nordsee mitgebracht hast?“, lacht sie die Braunhaarige an und wischt mit Servietten über den Tisch. „Hey!“ Lilly streckt die flache Hand nach vorne und bedeutet, dass sie ein wenig Zeit braucht.
„Nur wir beide?“, pustet sie der Blondine entgegen und atmet gleich noch ein paar Mal tief durch. Diese spricht ihren Namen nun mit einem sehr langgezogenen i aus und die Welt ist wieder in Ordnung. Lilly findet ihre Stabilität wieder, die Gläser klingen, leicht-fruchtig kitzelt es am Gaumen. „Na dann, erzähl mal…“
© Daniela Neuwirth 2021-12-14