von Margit Harasym
Der Unterschied zwischen einer 18- und einer 58-Jährigen, die verreisen? 40 Jahre, ein löchrig-angegriffenes Nervenkostüm, Lebenserfahrung (oder Was-könnte-alles-schiefgehen?) und fehlende Gelassenheit.
Ich bin vor kurzem von einer wirklich schönen Reise zurückgekommen. Alaska – ein Kindheitstraum: Wolfsblut, Goldwaschen am Yukon River, „Men in Trees“, wer die Serie kennt. Die Aufregung begann noch vor der Buchung und hat sich danach exorbitant ins Unermessliche gesteigert: Ich brauche ein Visum, nicht einfach ein ESTA. Was ist, wenn ich das nicht bekomme? Wenn sich alle US-Konsularangestellten gegen mich verschwören? Mir Fragen beim Interview stellen, die ich nicht verstehe oder nicht beantworten kann? Davon hängt alles (!) ab. Ich sollte eigentlich erst buchen, wenn ich das Visum habe. Oder übernimmt im schlimmsten Fall die Reiserücktrittsversicherung? Macht die das überhaupt? Die muss ich erst abschließen. Was mach’ ich nur als Erstes??
Ja, genau, die geneigte Leserschaft verfällt in Schnappatmung nur beim Überfliegen dieser Zeilen?! Mir ging es dementsprechend schlimmer.
Aber das war erst der Anfang: Wieviele und welche Medikamente brauche ich? Antibiotika für alle Eventualitäten und Grauslichkeiten, (gibt’s eigentlich Malaria in Alaska?) Desinfektionsspray nach einem Wolfsbiss, Sea Bands gegen Reiseübelkeit auf allen Schiffs-, Bahn- und Flugreisen. Ich habe ernsthaft gegoogelt: Verhalten auf einem Schiff nach einem Seebeben und nachfolgendem Tsunami. Das Medikamententäschchen einer 18-Jährigen wuchs sich zu einem honorablen Medikamentenkoffer einer 58-Jährigen aus, mit dem jeder Landarzt ein Jahr lang locker über die Runden gekommen wäre.
Auf dem einstündigen Hiking Trail im Denali Nationalpark, den ich todesmutig, alleine und trotz „Beware of the bear“-Warntafeln angetreten habe, hat mich – anscheinend aus Mitleid – eine Rangerin, mit Bärenspray ausgerüstet, unbemerkt begleitet und sich wahrscheinlich scheckig gelacht, als ich vor jeder Wegbiegung laut singend und klatschend im Wald herumgestiefelt bin.
Bei zwei ziemlich starken (und für diese Gegend laut Kapitän ungewöhnlichen) Stürmen in der Inside Passage habe ich im ächzenden, schlingernden Schiffsbauch alle Titanic-Bilder vor Augen gehabt und meine Reiseversicherung zwischen Gebeten und Todesahnungen innerlich beglückwünscht, dass sie keinen Sarg für mich braucht, weil eh nur ein paar nasse Flankerl von mir übrig bleiben würden.
Als ich endlich alle Schicksalsschläge gedanklich durch hatte, die mich theoretisch hätten ereilen können, war ich praktisch schon mit dem Urlaub fertig.
Im Endeffekt hat sich der Immigration Officer das Visum nicht mal gscheit angesehen, sondern sehr nett mit mir geplaudert, das Desinfektionsspray wurde für einen Kratzer verwendet und ich habe 4 lieben Bärenjungen beim Lachsfischen zugesehen.
Und zuhause dann: Die Wohnung ist erst wieder meine Wohnung, wenn sie gesaugt und gelüftet ist, 10 Maschinen Wäsche gewaschen sind etc. – aber das ist eine andere Geschichte.
© Margit Harasym 2024-09-28