Alter Baum am Wolfgangsee

Hier stehe ich schon lange. Diesen Platz wurde mir zugewiesen vor vielen Jahren. Mit der Zeit habe ich es nicht so, das ist etwas sehr menschliches. Ich verstehe eigentlich nicht warum die Zeit so wichtig sein sollte, so richtig machtvoll. Ich kümmere mich nicht darum. Ich stehe einfach hier auf diesem Platz am See. Sei es nun 30 oder gar 50 Jahre.

Aber ich erinnere mich noch genau, damals als ich ganz jung war. Gerade hier angekommen, unsicher, ob mich diesen Platz halten könnte. Würde ich hier am Rande vom See mit einem Fels im Rücken meinen Wurzeln festigen können? Stabil werden? War der Boden für mich geeignet? Mein Stamm war anfangs weich und biegsam. Die Winde, die über das Wasser zogen, drohten meinen Halt völlig aufzulösen. Teilweise war es harte Zeiten, aber meine Kraft stieg tag für tag. Ich gewann an Sicherheit, diesen Platz war doch für mich geeignet. Ohne Zweifel sprieß ich nun unbekümmert weiter.

Ich breite meine Äste immer länger aus und jedes Jahr entstehen mehr Blätter. Ich werde geschätzt! Menschen nehmen in meinem Schatten platz. Meinen Duft, bereichert mit so viel Sauerstoff, wird dankbar eingeatmet. Ich darf vieles verschenken und dabei werde ich nicht ärmer.

Aber horch! Jetzt gerade! Da höre ich, dass eine Familie in Anmarsch ist. Das kleine Mädchen jubelt: “Schau wie gut ich auch hier am Schotter radeln kann! Mama schau, rede nicht so viel mit Papa!” Wumm und sie ist bereits bei mir mit wedelnden Locken vorbei.

Jetzt bin ich aus meinem Philosophieren herausgekommen. Wo war ich gerade?

Ja, ich mag auch die frische Seeluft, die zu mir weht. Alles kommt einfach zu mir, ich muss nicht in die Welt hinausgehen. Düfte, Geräusche, Nahrung, Menschen mit Ihrem Geplapper und manchmal auch Sorgen, tauchen hier bei mir auf. Ich habe ein ruhiges und reiches Leben.