Altes Eisen

Stella

von Stella

Story

„Alles, was rostet, ist Eisen. Und alles, was Eisen ist, ist gut.“ Der bestechenden Logik dieser Scherenschleifer-Weisheit entkommt man nicht so leicht. Vorgestern stand er wieder vor der TĂŒr. Der schnauzbĂ€rtige grauhaarige fahrende HĂ€ndler fĂŒrs Klingen-SchĂ€rfen mit dem markigen Auftreten eines Schaustellers.

„Eisen ist viel hĂ€rter als die Guß-Legierungen moderner Messer. Es wird beim HĂ€mmern verdichtet und bricht deshalb nicht so leicht.“

Sagt er und sieht auf das kleine, sensenartig gebogene KĂŒchenmesser mit der scharfen Spitze, mit dem man Kartoffeln schĂ€lt oder Äpfel entkernt und Obst und GemĂŒse sĂ€ubert.

„Ich hatte eine alte Dame, die wollte, dass ich ihr solch ein kleines Messer immer wieder schĂ€rfe. Das Messerchen war bestimmt ĂŒber 40 Jahre alt. Und die HĂ€lfte der SchneideflĂ€che war schon weggeschliffen. Irgendwann kaufte sie sich ein neues 40 Euro teures Marken-KĂŒchenmesser.“

Der mĂ€chtige Mann dreht das rostige Messer, das man bei uns im Bergischen und im Rheinland „FlĂŒckschen“ nennt, in seinen grobschlĂ€chtigen HĂ€nden.

„Die alte Dame war enttĂ€uscht. Und wĂŒnschte sich ihr altes eisernes Messerchen fĂŒr 2 D-Mark wieder zurĂŒck. Aber solche Messer gibt es heute fast gar nicht mehr zu kaufen.“

Von Japanischen Design-Messern dagegen rÀt er uns ab:

„Mehr als schneiden können sie mit ’nem Messer nicht. Wenn das Messer stumpf ist, ist es Schrott. Wenn es schneidet, ist es gut.“

Wir lachen. Seine kölsche Scherenschleifer-Weisheit ist einfach zu zwingend.

Ich hole noch die Schneider-Schere aus meinem NÀh-KÀstchen. Auch sie hat Rost angesetzt. Ich habe sie vor Jahrzehnten vom Trödler mitgenommen. Lange Zeit, bevor mein Mann und ich uns kennengelernt haben.

„Das sind die besten Scheren ĂŒberhaupt! Die kriegen sie heute gar nicht mehr! Und wenn, dann fĂŒr teuer Geld!“

Lobt er ihre QualitĂ€t geschĂ€ftstĂŒchtig. Und fĂ€hrt fort:

„Einmal im Jahr fahr ich zu der Schneiderei in Köln, die KarnevalskostĂŒme fĂŒr die Blauen Funken nĂ€ht. Dann schleif ich alle 30-40 Schneider-Scheren. Sie glauben gar nicht, wie viel Stoff die da schneiden mĂŒssen fĂŒr die „Jecke Zig“ (die Karnevalszeit).“

In erfahrener Scherenschleifer-Manier erklÀrt er uns:

„Die meisten wissen diese kostbaren Schneider-Scheren gar nicht zu schĂ€tzen. Sie pflegen sie nicht. Und ziehen die Schraube auf der falschen Seite an. Und ziehen sie dann auch viel zu fest zu.“

Dabei dreht er imaginĂ€r an der Schraube und verzieht sein Gesicht zu einer angestrengten Grimasse. Um danach mit erhobenem Zeigefinger zu mir gewandt hinzuzufĂŒgen:

„Von wegen ‚Altes Eisen rostet nicht!‘ Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, sie mĂŒssen das Eisen regelmĂ€ĂŸig pflegen!“

Mit einem Seitenblick zu meinem Mann entschuldige ich mich:

„Das hab ich wohl vergessen, meinem Mann zu sagen.“

Der hilft mir aus der Bedrouille: „Jetzt weiß ich es ja auch.“

Wir werden ab jetzt wohl beide dran denken. Dass „Altes Eisen“ Pflege braucht. Dem Scherenschleifer und seinen eisernen Lebensweisheiten sei Dank.

© Stella 2019-08-12