Altweibersommer

Lotte Maria Kaml

von Lotte Maria Kaml

Story

„Na endlich, das Krampfadern-Geschwader ist da!“, verkündete unser Hausmeister laut und respektlos. Er schob seine Kappe aus der Stirn und den Gepäckwagen in Richtung Hoteleingang. In der Lobby köpfte der Barman eine Flasche Sekt und bereitete die Begrüßungs-Drinks vor.

Ich ging zum Bus, begrüßte die Gäste, verteilte die Zimmer-Karten und informierte sie über die Essenszeit am ersten Abend. Dann half ich einem älteren Herrn beim Aussteigen. Er war auf einen Rollstuhl angewiesen, was seiner guten Laune aber keinen Abbruch tat. „Danke Mädelchen!“, lachte er mich fröhlich an, „ist ja nett von dir, dass du mir deine Beine borgst!“ Ich musste lachen. Wenn die Sommersaison zu Ende war, begann die „Bus-Saison“. Zuerst kamen die sogenannten „Wander-Busse“, diese Urlauber genossen den Herbst in den Bergen mit Wanderungen und Ausflügen in die Umgebung.

Danach, mit den „Pensionisten-Bussen“, war es schon etwas anders. Die Speisekarte war abgestimmt auf die älteren Herrschaften, ein Fach im Kühlschrank der Hotelbar leer geräumt für die Insulin-Vorräte, die viele von ihnen benötigten. Notruf-Nummern von Arzt, Zahnarzt, Tagesklinik usw. lagen griffbereit in jedem zentralen Bereich des Hauses. Wir hatten da so unsere Erfahrungen, manchmal musste es schnell gehen.

Nie vergesse ich den armen Mann, der während des Abendessens einen Schlaganfall erlitt. Das war nicht nur für den Notarzt eine Herausforderung, auch für uns. Alle Personen, welche im selben Raum ihr 4 Gänge-Menü genossen, wurden zu einem schnell improvisierten Büffet in die Hotelhalle umgesiedelt. Mit beruhigenden Worten, während uns das Herz bis zum Hals klopfte. Eine Service-Mitarbeiterin erlitt einen Schock und kippte um. Wir verabreichten ihr ein Medikament in Form eines Glases des teuersten Cognacs. Laut Auskunft des Arztes die richtige Entscheidung.

Ein Tag blieb mir in besonderer Erinnerung: Ich begleitete eine Reisegruppe bei einem Ausflug. Das hohe Gras auf der Wiese neben dem Alm-See glänzte, noch bedeckt vom Morgen-Tau in der aufgehenden Sonne. An solchen Tagen tauchen sie auf: die Spinnweben. Verstreut zwischen den Blumen und Gräsern, kunstvoll gewebt. Nur im Spätherbst kann man sie in dieser Anzahl sehen. Altweibersommer eben. Ein besonderer Anblick, der auf vielen Fotos festgehalten wurde.

Am Nachmittag traf sich eine kleine Gruppe unserer Gäste auf der Terrasse des Hotels. Ich hörte sie lachen, eine Frauenstimme fiel mir auf. Mit Inbrunst begann sie zu singen: „Da Summa is aussi…“

Der Sommer des Lebens war für die Teilnehmer dieser Reise schon lange vorbei. Aber sie hießen auch IHN willkommen: den Herbst. Vergänglichkeit, Abschiednehmen. Die Freude über sein Geschenk: Reisen, Lachen, Spinnweben und Singen. Mit dem aufkommenden Wind tanzte ein Ahornblatt auf den Tisch. Ein einziges. Ich habe es mit nach Hause genommen. In gepresster Form erinnert es mich an diesen wunderschönen Altweibersommer.

© Lotte Maria Kaml 2020-09-17

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