Am Fluss – Basteln wir uns einen König

Fabiennne

von Fabiennne

Story

Das erste Mal sah ich ihn barfüßig auf den Stufen des Rathauses stehen und er sprach zur Menge. Genaugenommen erreichte er nur die Wartenden an der Straßenbahnhaltestelle, die vor dem Rathaus liegt. Zuhören tat ihm keiner, aber darauf kam es ihm wohl auch nicht an.

Wochen später sah ich ihn durch die Innenstadt wandeln, barfüßig, die Beine nackt, dafür verhüllte ein längeres einer Tunika ähnliches Gewand seinen Körper, das auf Kniehöhe endete. Das Gesicht bartumrahmt. Eine goldene Pappkrone trug er auf den langen ergrauenden, vormals dunkelblonden Haaren. Würdevoll schritt er dahin.

So sah man ihn immer wieder, wobei sich sein Kleidungsstil über die Jahre leicht veränderte. Die Tunika machte Platz für weitaus phantasievollere Gewänder. Mal Pullover mit Zahlenmustern drauf, dann wieder eine blaue Latzhose, mal ein rotes Frotteegewand, das ein wenig an die Teletubbies erinnert, ein weißer Schutzanzug, so wie man ich beim Betreten von kontaminierten Räumen trägt, verziert mit Schriftzügen. Kleidungstechnisch war und ist er immer für eine Überraschung gut. Und es wird erzählt, dass er einen Kalender hat, in dem die Wochen nach Farben definiert sind, die dann tonangebend für die Zusammenstellung der Kleidungsstücke sind.

Bei jedem Wetter ist er unterwegs. Und eigenen Aussagen zufolge wandert er durchschnittlich dreißig Kilometer jeden Tag durch die Straßen seiner Stadt, deren König er ist.

Anfang der 90er Jahre kam er, seinem Verständnis nach, auf die Idee, nachhaltiger leben zu wollen. Und als noch keiner von Minimalismus sprach, begann der gelernte Schriftsetzer, studierte Wirtschaftsingenieur und ausgebildete Altenpfleger ein einfaches Leben zu leben. Er war fortan in der Stadt seiner Wahl auf Wanderschaft, will mit Leuten in Kontakt kommen und folgt konsequent seiner Lebensphilosophie: einfach sein im Alltag. Weil er anfangs die selbstgebastelte Krone aus Goldpapier trug, wurde er zum König von Augsburg. Er besitzt einen bürgerlichen Namen, doch besser findet man ihn via Google unter dem Markennamen „Der König von Augsburg“.

Er ist stadtbekannt, aber auch jemand, an dem sich die Geister scheiden, die Fans und die Anderen. Seine Fans haben ihm sogar ein Social-Media-Profil eingerichtet, dass sie mit Neuigkeiten befüllen. Es gibt mittlerweile mehrere Dokumentationen über ihn, unzählige Bilder und wenn man ihn mal eine Zeit nicht im Stadtbild sieht, dann beginnt man zu fragen, ob es ihm gut geht. Die Anderen halten ihn für einen Spinner, für einen Nichtsnutz. Sie kommen mit ihm nicht klar, weil er sich als Alltagsphilosoph dem Materiellen und Konsum entzieht, dem alle in der Gegenwartsgesellschaft nachjagen und denen er, ohne es zu wollen, den Spiegel des rastlosen Seins vorhält. Eines hat er auf alle Fälle: Zeit.

Der König gehört zu Augsburg und sieht man ihn laufen, dann ist alles gut. Wer ihn finden möchte, schaut am besten an seinem Regierungsplatz, den Stufen beim Rathaus vorbei.

© Fabiennne 2021-05-17

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