Am Schottentor

Ulrike Sammer

von Ulrike Sammer

Story

Das „Schottentor“ war für mich viele Jahre ein Sehnsuchtsort. Hier liegt der prächtige Aufgang der Hauptuniversität und da wollte ich hin. Es war nach dem Krieg ziemlich unwahrscheinlich für ein Mädchen zu studieren – war doch die Bestimmung der Frau das Muttersein. Wie man Studium und Familie unter einen Hut bringen sollte, war ohne Hilfe ein ziemliches Kunstwerk. So kämpfte ich mich durch viele Herausforderungen bis ich endlich an der Uni inskribierte. Ich war sehr stolz darauf. Das leichte Leben der Studierenden habe ich aber leider nie genossen – ich hatte zwei kleine Kinder. Viele können sich gar nicht vorstellen, wieviel Anstrengung mich mein Studium kostete.

Die Universität am Schottentor wurde ein wichtiger Punkt in meinem Leben. Der Name der Station Schottentor leitet sich vom gleichnamigen Schottentor her, einem ehemaligen Tor in der Wiener Stadtmauer, das 1860 abgetragen wurde. Hier ist der meistfrequentierte Knoten des öffentlichen Verkehrs in Wien. Es treffen insgesamt 13 Linien aufeinander. Das hohe Verkehrsaufkommen ist vor allem auf die angrenzende Universität  zurück zu führen. Wegen der ovalen Form der Umkehrgleise, die von oben gesehen an einen Kochtopf erinnert, sowie in Anlehnung an den damaligen Bürgermeister Franz Jonas wird diese Anlage im Volksmund „Jonas-Reindl“ genannt.

Das hier ansässige „Alte Tor“ hatte einen Turm und war bereits 1276 nachweisbar. Nach 1316 trug es den Namen Schottentor. Als man im 16. Jahrhundert ganz in der Nähe Befestigungsbauten errichtete, wurde tief unter der Sohle des Stadtgrabens ein römischer Votivstein gefunden.

Als die Osmanen 1683 Wien belagerten, wurde das später errichtete „Neue Tor“ verrammelt. Vom Ausfalltürlein, das sich daneben befand, wurden nächtliche Überfälle gestartet. Am 2.8. 1683 gelang es einem Trupp auf diese Weise, 60 Ochsen zu erbeuten. Beim Schottentor kletterten immer wieder Frauen über die Pallisaden, um im osmanischen Lager Brot gegen Gemüse einzutauschen. Daraufhin wurde am 23.7. 1683 das Übersteigen der Pallisaden verboten. Nachdem die Osmanen ihre Stellungen fluchtartig verlassen hatten, soll der polnische König Sobieski am 13. 9.1683 durch das bereits erwähnte Türlein die Stadt betreten haben, wobei er eine große, erbeutete Fahne und das Pferd Kara Mustaphas als Trophäen mit sich führte.

Nachdem das alte Tor 1839 abgerissen worden war, ersetzte man 1840 auch das neue Tor durch einen klassizistischen Neubau. Als man zwei Jahrzehnte später die Festungsmauer demolierte, wurde das Tor überflüssig, nur ein Gehtor blieb noch bis 1900 erhalten. Auf der Bastei, den letzten Resten der Stadtmauer, wohnte hier 1808 Ludwig van Beethoven. Ein Förderer schrieb, dass er Beethoven in einer großen, wüsten und einsamen Wohnung angetroffen habe.

© Ulrike Sammer 2024-04-22

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