von Viktoria Hellman
Es ist gespenstisch, durch die fast menschenleeren Straßen zu gehen, vorbei an den leeren Restaurants, Cafés und geschlossenen Geschäften. Die Angst geht mit. Ein Gefühl von Trauer trübt meine Stimmung. Zu sehr bin ich aufgewühlt von den gestrigen Ereignissen der Gewalt, die so nah an meinem Leben passiert sind.Aber ich lebe noch, ich kann darüber schreiben, was mich bewegt. Es hätte auch anders sein können.
Ich war bei meiner Tochter zu Besuch, als ich von den Anschlägen erfahren habe. Ich war gerade dabei, mich auf den Weg nach Hause in meine Wohnung zu machen. So um 21:30. Sie sagte mir etwas von Schießerein auf dem Schwedenplatz, ich solle vorsichtig sein. Noch erreicht mich das Geschehen nicht ganz, ist noch etwas weit weg von mir. Mein Kopf ist mit anderen Dingen beschäftig. Ich mache mich auf den Weg von der Schönbrunner Straße zur Mariahilfer Straße. Ich gehe zur Pilgrambrücke und warte auf den Autobus 13a. Während des Wartens höre ich die Sirenen der Einsatzfahrzeuge, die in Richtung Innenstadt fahren. Da wird es mir zum ersten Mal unheimlich.
Dann kommt der Autobus, ich steige ein und fahre zur Neubaugasse. Während der Fahrt höre ich eine Durchsage. Ich höre das Wort Polizeieinsatz in der Innenstadt und dass die U3 und U1 nicht benützbar seien. Das klingt nach einer größeren Attacke. Dann steige ich aus und gehe durch die Mariahilfer Straße. Wieder heulen Sirenen und eine Autokolonne bewegt sich mit Blaulicht in Richtung Westbahnhof. Es wird mir immer mulmiger. Meine Tochter ruft an, macht sich Sorgen um mich. Das klingt jetzt wirklich sehr ernst. Ich sei gleich zu Hause, versichere ich ihr. Gleich biege ich in die Webgasse ein, ein paar Schritte noch bis zu meinem Wohnhaus. Ich höre Hubschrauber kreisen. Erleichtert betrete ich meine Wohnung und atme tief durch. Dann höre ich die halbe Nacht Nachrichten und erfahre die Einzelheiten der vorgefallenen Ereignisse. Ich bin erschüttert über die Toten und Verletzten, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren und Opfer der Gewalt wurden. In meiner kleinen Wohnhöhle fühle ich mich sicher. In der Ferne höre ich die Sirenen der Polizei- und Rettungswägen. Und habe Schwierigkeiten, mir das Unvorstellbare vorzustellen. Diese Gewalt erschüttert mich bis in die tiefsten Tiefen meines Seins. Sie macht mir Angst und zieht mir den Boden unter den Füßen weg.
In den Nachrichten höre ich, man soll zu Hause bleiben, es sei gefährlich, sich nach draußen zu bewegen. Die Nacht vergeht irgendwie. Der Morgen bricht an. Ich muss raus auf die Straße. Zum Hauptbahnhof. Mit dem 13 a durch die Stadt fahren. Nicht ungefährlich in die dieser ungewissen angespannten Lage. Aber ich will weg von Wien, dieser gefährlichen Stadt, auf das Land wo mein Mann wohnt. Sehnsucht nach Sicherheit und Geborgenheit lassen mich das Risiko eingehen. Ich stehe mit meiner Tochter in Verbindung.
Alles ist gut gegangen. Die Bahn hat mich ins Burgenland an den Neusiedler See gebracht, wo die Welt etwas friedlicher scheint.
© Viktoria Hellman 2020-11-03