Am Tag davor

Klaus Schedler

von Klaus Schedler

Story

Der 19. August 1981 war ein warmer Tag gewesen. Soeben hatte ich das Institut verlassen. Wie immer ging ich zu Fuß vom Judenplatz bis zur Haltestelle. Dabei genoss ich die etwa 20 Minuten durch die Gassen der Innenstadt mit ihren altem steinernen Zeitzeugen. Bis zur Straßenbahn am Schwarzenbergplatz konnte ich so Abstand gewinnen.

Eben war ich auf der Tuchlauben, als mir auffiel, dass ich noch meine Büroschlapfen anhatte. „Ach was, egal!“ dachte ich, doch dann fiel mir ein, dass meine liebe Elisabeth daheim unser erstes Kind erwartete. Was tun, wenn ich meine Frau in Schlapfen ins Spital begleiten und womöglich ebenso auch den Weg zum Standesamt erledigen müsste? Ich bin wieder zurückgegangen, um richtige Schuhe anzuziehen. Wie sich zeigte eine gute Entscheidung.

Sonntag der 9. Oktober war für uns zunächst ein ziemlich ereignisarmer Tag gewesen. Wir erwarteten unser zweites Kind und meine liebe Elisabeth war bereits so weit, dass ihr schon alles schwer fiel und sie wurde auch rasch müde. Sie entschloss sich, zeitig schlafen zu gehen, wahrend ich noch ein wenig fernsehen wollte. Weil aber das TV-Programm nichts bot, legte ich eine Video-Cassette mit dem Film „Moby Dick“ aus dem Jahr 1956 ein.

Eben war die Pequod auf hoher See einem anderen Walfänger begegnet, der nach einer schicksalhaften Begegnung mit dem Weißen Wal auf der Suche nach Schiffbrüchigen war. In seiner Besessenheit, den entkommenen Wal zu erlegen, verweigerte Kapitän Ahab die Hilfe … als mich Elisabeth rief. Es war soweit! Ich verständigte die Rettung und rief bei Nachbarn an, damit sie sich in unserer Abwesenheit um unseren Jüngsten kümmerten. Eben sagte mir noch Elisabeth, dass ich bei meinen Anruf an die Rettung in meiner Nervosität unsere allererste Telefonnummer angegeben hätte, als die Rettung bereits eintraf. Offensichtlich war man dort daran gewohnt, dass werdende Väter in solchen Situationen nicht ganz zurechnungsfähig sind.

An Samstag den 1. April 1989 wurde Zita von Bourbon-Parma, die letzte Österreichische Kaiserin, in der Kapuzinergruft beigesetzt. Wir erwarteten unser drittes Kind und meine Elisabeth hoffte inständig, dass die Geburt bitte nicht am 1. April erfolgen möge, weil so ein Datum oft zu dummen Witzen führt.

Es war frühsommerlich warm und ich hatte am Vormittag eine Bücherwand für unser Wohnzimmer abgeholt und in die Wohnung getragen. Nun am Nachmittag begann ich mit dem Zusammenbau und sah mir gleichzeitig die Beisetzungsfeierlichkeiten im Fernsehen an. Als ich fertig war, setzte ich mich in einen Sessel, um mich ein wenig an dem neuen Stück zu erfreuen, als meine liebe Elisabeth meinte, dass es nun doch soweit sei.

Jenseits aller Routine verständigte ich wieder Rettung und Nachbarn, die kamen, um Sohn und Tochter abzuholen und bald war auch schon die Rettung da. Langsam begann die Abenddämmerung als wir das Spital erreichten. Doch es ist sich ausgegangen: Unser Jüngster wurde erst nach Mitternacht, also am 2. April geboren.

© Klaus Schedler 2020-06-04

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