von So_Yellow_
Ich bin weder gläubig noch sonst was und habe trotzdem mal an den Papst geschrieben. Ich wollte einfach eine Antwort zu einer Frage haben: zu einem Thema, bei dem er sich auskennt. Insgeheim hab ich natürlich auf eine seltene Briefmarke gehofft. Geantwortet hat das Staatssekretariat des Papstes. Aus Berlin. Aber anscheinend zählt die Berliner Adresse auch als „Vatikan“, denn neben dem Datum steht: „aus dem Vatikan“. Es ist also ein Fleckchen vatikanische Erde in der Hauptstadt. Zwar ist die Briefmarke wertlos, aber immerhin klebt vielleicht heiliger Speichel oder zumindest heiliges Schwammwasser an ihr.
Mein Brief wurde also irgendwie weitergeleitet, was erstaunlich gut funktioniert hat. Ich weiß nicht, ob Briefe in den Vatikan schon vorher aussortiert werden und die dementsprechenden Botschaften in den Ländern erreichen. Was ja Sinn machen würde. Sonst würde der eigentliche Vatikan wohl von Briefen überhäuft werden und untergehen wie Atlantis.
Der Staatssekretär hat tatsächlich auf meine Frage im Brief geantwortet. Kurz aber zufriedenstellend. Etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Ich dachte ja, da kommt so eine vorgefertigte 08–15 Antwort zurück.
Außerdem bekam ich den Tipp, dass ich mich jederzeit an einen Ortspfarrer wenden kann und (da kam dann die Floskel), dass der Pabst mich in seine Gebete mit einschließt. Amen. Ein Autogrammkärtchen lag übrigens auch bei.
Weil das mit dem Papst so gut geklappt hat, schreibe ich nun der Kanzlerin.
Politiker bekommen bestimmt nur Hassbriefe. Und das kann einen schonmal den Tag versauen. Wer kennt das nicht? Man will fröhlich ins Wochenende starten und im Briefkasten liegt die Erinnerung an die versäumte Rechnung, an die man sich nicht erinnert. Was harmlos ist, im Gegensatz zu dem, was Politiker einstecken müssen. Es wird Zeit für ein bisschen Aufmunterung.
Frau Merkel bekommt also einen: „Danke, bitte, cool, ich freu mich so!“-Brief. Und eine Frage stelle ich. Damit sie in Zugzwang kommt und das Gefühl hat, antworten zu müssen. Alles unpolitisch natürlich, denn ich interessiere mich nicht so sehr für Politik.
Der Brief landet in einem Postfach, wird mit hunderten anderen täglichen Briefen zur Kanzlerpoststelle gebracht und irgendein Mitarbeiter hält ihn gegen das Licht, um zu kontrollieren, ob es ein böser Brief ist und dort etwas Böses drin ist. Spurensicherung: heiliger Postbotenspeichel wird gesichert, Adressüberprüfung sicher auch. Der Sekretär behält die schöne Briefmarke und vielleicht bekommt Frau Merkel meine Worte nicht mal zu sehen: denn es wird in ihrem Namen geantwortet. Das ist aber nicht schlimm. Mir ist nur wichtig, dass ich sagen kann, was ich sagen möchte. Leider kann ich es hier nicht schreiben. Briefgeheimnis und so. Aber vielleicht bewirkt der Brief immerhin eines:
bei irgendeinem fremden Menschen wird ein Lächeln ausgelöst.
Bild: Lidya Nada – unsplash
© So_Yellow_ 2020-05-30