von Bernhard Kutzler
Eines Tages legte ein Adler ein Ei in einen Hühnerstall. Das Ei wurde ausgebrütet und der neugeborene Adler lernte von den anderen Vögeln, wie ein Huhn zu leben. Sein Leben war großartig – bis auf eine Sehnsucht, die ihn suchen ließ. Doch nichts, was er fand, befriedigte diese Sehnsucht.
Würde es helfen, wenn ihm jemand sagt, dass er ein Adler ist und kein Huhn?
Nein, das würde nicht helfen. Der Adler hat gelernt, ein Huhn zu „sein“; er trägt ein „Huhn-Programm“ in sich, das ihm sagt, wie er sich in welcher Situation zu verhalten hat. Er fühlt sich sicher, ein Huhn zu „sein“ – bis auf die Sehnsucht.
Würde es helfen, wenn der Adler an einem Adler-Seminar teilnähme, um zu lernen, wie ein Adler zu handeln?
Nein, auch das würde nichts helfen. Durch ein Adler-Seminar entstünde ein Adler-Programm, das dem Huhn-Programm übergestülpt würde. Er wäre dann ein Adler, der glaubt ein Huhn zu sein, das gelernt hat, zeitweise wie ein Adler zu handeln. Das wäre noch viel verkorkster, als einfach als Huhn weiterzuleben.
Damit der Adler ist, was er wahrhaftig ist, muss er sich vom Huhn-Programm befreien.
Warum hat die Adler-Mutter ihr Ei in einen Hühnerstall gelegt? Weil auch sie im Hühnerstall lebt und glaubt, ein Huhn zu sein. Tatsächlich sind ALLE Vögel im Hühnerstall Adler, die glauben, Hühner zu sein – und das ist seit 200.000 Jahren so.
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So geht es uns Menschen.
Als Kinder lernten wir von unseren Eltern, wie man lebt; wie man ein Mann ist; wie man eine Frau ist; wie man andere Leute behandelt; wie man dies und jenes macht. Sie haben uns das nicht gelehrt. Wir haben es ganz einfach durch Kopieren gelernt.
Wir haben auch von anderen Menschen kopiert wie zB Geschwistern, Großeltern, Tanten, Onkeln, Nachbarn, Freunden, Lehrern usw. Wir haben Verhalten kopiert; Glaubenssätze, Vorlieben, Lebenseinstellungen, Probleme, Ängste, Limitationen; usw.
So wurden wir – und werden auch weiterhin – durch unsere Umgebung programmiert. Daher leben wir so, wie wir leben.
Unser persönliches menschliches Huhn-Programm ist eine einzigartige Mischung der Programme, die wir von den Menschen kopiert haben, denen wir im Leben begegnet sind – samt fiktiver Menschen aus Büchern, Filmen, Computerspielen usw; alles in Abhängigkeit von der Zeit, die wir diese Menschen wahrgenommen, sowie der Tiefe des Eindrucks, den sie auf uns gemacht haben.
Das wirft die Fragen auf:
Was sind wir ohne unsere Programme? Wie befreien wir uns von ihnen?
2011 bin ich auf eine geistige Reise gegangen, um das herauszufinden. Seither grabe ich mich durch alle Programme, die ich in meinem Leben absichtlich und unabsichtlich, freiwillig und unfreiwillig gelernt habe.
Darüber erzähle ich.
© Bernhard Kutzler 2020-07-02