von Peter Kemptner
Im Kreis meiner Freunde und Bekannten haben und – wenn man die bereits verstorbenen mit einbezieht – hatten Viele außergewöhnliche körperliche Merkmale, kleinere oder größere Anomalien.
Da gibt es einen Mann mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen und einen, dem die Zehen eines Fußes nach einem Unfall fehlen. Da ist eine Frau, die nach einer Operation nur noch eine Brust hat, und eine, die gar keine mehr hat. Eine hat ihre noch, aber auffällige Operationsnarben darauf, eine andere muss seit Geburt mit nur einem Bein auskommen. Dann ist da noch eine Frau mit dauernd gelähmtem Gesichtsnerv, und auch ein Blinder und ein Taubstummer zählen zu meinen Freunden.
Umso verwunderlicher war meine heftige Gefühlsreaktion, als ich mit einer lieben Freundin am See baden war und bemerkte, dass ihr der Nabel fehlt.
Einfach nichts, nur glatte Haut, durchgehend. Ein Bauch, wie es ihn bei normal geborenen Menschen nicht geben kann. Fremd erschien sie mir plötzlich, als ob die leere Weite des Weltalls uns trennte, als wäre sie von einem fernen Planeten herabgestiegen, kein Mitglied der menschlichen Rasse. Mir stockte der Atem, Schweiß trat mir auf die Stirn, und erst die ausführliche Schilderung der Operation, die dazu geführt hatte, und deren Narbe kaum mehr sichtbar war, konnte mich beruhigen.
Sind das die Gefühle, die manche Menschen angesichts von Kopftüchern oder dunkler Hautfarbe empfinden?
Bin auch ich in solchen Ur-Ängsten verhaftet? Nicht darüber hinweg? Nicht besser als jene?
© Peter Kemptner 2021-12-07