Anderwelt

„Es gibt einen See in der Anderwelt, darin sind alle Tränen vereint, die irgendjemand hätt` weinen sollen und hat sie nicht geweint. Es gibt ein Tal in der Anderwelt, da geh`n die Gelächter um, die irgendjemand hätt` lachen sollen und blieb stattdessen stumm. Es gibt ein Haus in der Anderwelt, da wohnen wie Kinder beinand` Gedanken, die wir hätten denken sollen und waren`s nicht imstand. Und Blumen blüh`n in der Anderwelt, die sind aus der Liebe gemacht, die wir uns hätten geben sollen und haben`s nicht vollbracht.“

Diese berührenden Zeilen stammen von Schriftsteller Michael Ende.

Ich schöpfe immer wieder Kraft und Hoffnung aus ihnen. Vor allem, wenn der Leidensdruck wie in den Wochen vor Weihnachten schier zu groß wird. In diesen Zeilen steckt eine besondere Weisheit. Lebe den Tag als wäre es dein letzter und reiche die Hand beizeiten. Jeden Moment kann nämlich der Fall eintreten, dass wir des anderen Hand unwiederbringlich nie mehr drücken können.

Weil es ihn nicht mehr gibt. Wie einfach und doch wieder so schwer ist es für viele, einmal zurückzutreten, einmal den ersten Schritt zu tun, über den eigenen Schatten zu springen und zu sagen: Tut mir leid. Reichen wir uns die Hand. Lass uns in Ruhe und Frieden reden. Denn wenn wir das schaffen, kann das Leben von einem Moment auf den anderen eine völlig neue Qualität bekommen. Die Qualität der Liebe und des Friedens. Ja, leicht und doch so schwer. Aber nehmen wir Beispiel an dieser Blume, die dem härtesten Granit trotzt und ihn durchdringt. Das sollte uns Hoffnung geben.

Was diese Zeilen von Michael Ende auch vermitteln. Kraft in Zeiten der Trauer. Des Abschiednehmens von geliebten Menschen. Zuversicht, dass nach dem irdischen Leben eine Anderwelt auf uns wartet. Und doch nochmals zurück. So sehr die Anderswelt Hoffnung zu vermitteln vermag, so soll das Hier und Jetzt bereits genutzt werden. Den Menschen um uns herum mit Wohlwollen zu begegnen. Stets bereit die Hand zu reichen, so unterschiedlich Charaktere und Meinungen sein mögen.