von Christa Arnet
Schon bei der Ankunft mit der Fähre lässt sich unschwer feststellen, dass Andros keine internationale Ferieninsel ist. Im Naturhafen von Gavrion schaukeln Fischerboote neben einem rostigen Lastkahn, am Quai wartet ein klappriger Bus, dahinter döst ein verschachteltes Dorf. Und im Gegensatz zu vielen anderen griechischen Inseln werben weder Taxifahrer noch Zimmervermieterinnen um Gäste. Denn die nördlichste Kykladeninsel dient in erster Linie als Refugium begüterter Athener, deren Ferienhäuser die Hänge an der Küste überziehen. Ausländer kommen hingegen nur wenige hierher. Zu zeitraubend ist die Anreise und zu langweilig erscheint das Eiland. Die Zeugen der Vergangenheit sind touristisch kaum erschlossen, die Siedlungen wirken mehrheitlich verschlafen, viele Strände haben keinerlei Freizeiteinrichtungen. Dafür gibt es Täler voll feurigem Oleander, Duftwolken aus Thymian, weiße Kapellen auf einsamen Höhen, reich verzierte Taubentürme, sorgsam geschichtete alte Trockenmauern, Bergziegen, Schafe, Esel und immer wieder Olivenhaine.
<<A place one can afford to miss>>, steht in einem britischen Reiseführer. Ja, wer die üblichen touristischen Attraktionen sucht, kann es sich durchaus leisten, Andros zu verpassen. Aber wer seine Träume vom einfachen Leben unter Griechen wahrmachen möchte, ist hier richtig. Wo ließe es sich besser entspannen, als auf einer Insel ohne touristisches <<Must>>? Ohne Schickimicki-Klimbim und Mega-Action, die einen unablässig auf Trab halten? Auf Andros hat man Gelegenheit zu spüren, wie lang der Tag wirklich ist und kann das köstliche, längst vergessene Gefühl der Langeweile neu entdecken. Selbst kleine Ereignisse werden zu unvergesslichen Highlights. Etwa die gestenreiche Verständigung mit dem Fischer und dem Bäcker, das tägliche Bad im kristallklaren Wasser einer fast menschenleeren Bucht und die Nachmittage in schattigen Tavernen bei Oliven, Feta und Retsina. Natürlich auch jener Tag ohne fließendes Wasser und die Nacht ohne Strom.
Zugegeben: Uns Mitteleuropäern fällt das Nichtstun schwer. Spätestens nach zwei Tagen schmieden wir Ausflugspläne. >>Komm, wir kraxeln zum Turm von Agios Petros hinauf, dessen Fundament aus mykenischer Zeit stammen soll! Danach suchen wir den ultimativen Traumstrand, den unsere Wirtin empfahl und die angeblich im Meer versunkenen Reste einer antiken Stadt! Oder wir besuchen die drei Museen in der schön herausgeputzten Hauptstadt Chora und mindestens eines der alten Klöster im Inselinnern!<<
Okay, klingt alles sehr interessant. Kann aber auch warten. Bis morgen oder übermorgen oder irgendwann. Nach ein paar Ferientagen auf Andros spielt die Zeit keine Rolle mehr.
Und genau davon werden wir noch lange träumen.
© Christa Arnet 2021-02-23