Auszug aus dem Tagebuch vom 9.7.2011: „Heute war ein perfekter Familientag. Wir haben uns vier wahnsinnig genossen. Es war so gemütlich und wunderschön. Wir waren den ganzen Tag im Garten und haben uns aneinander gefreut.“
Das war der erste Tag daheim für unsere jüngere Tochter. Damals war sie gerade zwei Monate auf der Welt. Zwei Monate, die sie auf der Neonatologie ums Überleben gekämpft hatte. Sie hätte noch bis August in mir heranwachsen sollen. „Hätte“ – hätte das Leben nicht entschieden, dass sie drei Monate früher als geplant den Mutterleib verlassen musste.
Noch heute fühle ich ihre schnellen Atemzüge an meiner Brust. So wie an diesem Julitag im Garten, als sie in ihrem Tragetuch fest an mich gekuschelt schlief. Vögel zwitscherten. Vor mir schöpfte unsere ältere Tochter mit ihren gut zwei Jahren Wasser im und um ihr Plantschbecken herum.
Die langen Tage der Zerrissenheit zwischen meinen beiden Kindern hatten endlich ein Ende. Besuchte ich unser jüngstes Familienmitglied im Krankenhaus, zerfraß mich das schlechte Gewissen meiner älteren Tochter gegenüber. In den Stunden, die ich mit der älteren verbrachte, wurde ich im Wissen darum, die jüngere allein zu lassen, immer unruhiger. Auch, wenn ich mir mit meinem Mann die Zeit so gut wie möglich einteilte, so blieb das Gefühl zu versagen. Nirgendwo war ich ganz. Nirgendwo war ich genug.
Wie eine wärmende Decke legte sich an dem lang herbei gesehnten Tag im Juli vollkommene Glückseligkeit über uns vier und über unser kleines Fleckchen Grün. Darunter machte sich erstmals unser Wir-Gefühl breit. Endlich waren wir eine Familie. Endlich konnten wir zusammen sein.
Unsere dicht bewachsene Efeumauer strahlte mir mit meinem kleinen Bündel Mensch im Tragetuch in sattem Grün entgegen. Wie das erlösende Licht einer Ampel wollte auch diese Blätterwand mir in diesem Moment die Aufforderung zum Weitergehen geben. Lange genug war unser Leben auf Rot gestellt gewesen. Nun war es an der Zeit, wieder zu lachen und durchs Leben zu tanzen. Auch unsere Kletterpflanze schenkt Jahr für Jahr zahlreichen Tieren ein Zuhause. Schützend breitet sie ihr Blätterdach über Vogelnestern und Igeln aus. Sie ist Zufluchtsort für alle großen und kleinen Tiere, die sie brauchen. In stiller Übereinkunft von Mutter zu Mutter lächelte ich sie und die ganze Welt um mich herum an. Endlich war ich als Mama angekommen.
© Teresa Kaiser-Schaffer 2021-03-09