von Alexander Heller
Alleinunterhalter können der Aufstieg oder Fall jeder Party sein. Ein Typ mit zwei Becken zwischen den Beinen und einer Mundharmonikahalterung um den Hals kann man sich in der Einkaufspassage gerne ein paar Minuten widmen. Auf einer Hochzeitsfeier ist da allerdings schnell die Luft raus. Das wusste auch unser Alleinunterhalter, der sich selbst den Namen „Angelo“ gab. Er ist klein, hat einen Bauchansatz und volles Haar. Gut, das Haar war nicht mehr ganz so voll, aber er kämmt und föhnt es entsprechend, sodass die kahlen Stellen vermeintlich überdeckt sind. Angelo hat einen italienischen Akzent und viele Ringe an den Finger. Wie die Freundschaftsarmbändchen von Wolfgang Petry nur eben mit Ringen. Er ist nach näherer Betrachtung der perfekte Stereotyp „italienischer Alleinunterhalter für eine Hochzeit“. Ich will ihn allerdings nicht sofort in eine Schublade stecken.
Zum Essen gibt es Fahrstuhlmusik. Diese Art von Musik, die nur läuft, dass man das Gefühl der Stille nicht ertragen muss. Dabei ist Stille etwas Wunderbares. Nachdem der offizielle Teil vorbei ist, kommt die große Stunde von Angelo. Er trällert einen Italo-Pop-Song nach dem anderen und grölt ins Mikrofon, dass sogar Oma sich die Ohren zuhalten muss, obwohl sie ihr Hörgerät vergessen hat. Alle 30 Minuten wird “99 Luftballons” von Nena gespielt, damit es zu keinen Unruhen kommt. Meine Tante unternimmt einen Rettungsversuch und wünscht sich ein Lied. Angelo blickt meine Tante an und antwortet ihr: „Kenne ich, spiele ich aber nicht.“ Ich kann aus der Ferne erkennen, dass meiner Tante die Kinnlade bis zum Boden fällt. Ich will ihr gerade zur Hilfe eilen, da macht Angelo eine Pause. Er wird an diesem Abend sehr viele Pausen machen, sogar 10 Minuten bevor seine Arbeitszeit endet. Angelo hatte in seiner Raucherpause einen Gedankenblitz, deswegen wird direkt mit Ballermann-Hits weitergemacht. Meine Oma fragt, warum jemand 10 nackte Friseusen haben möchte. Ich kann ihr darauf keine passende Antwort geben. Nachdem meine Tante gescheitert ist, versuche ich mein Glück. „Hast du Queen – Don’t stop me now?”, brülle ich in sein Ohr. Er überlegt kurz und antwortet: „Klar, aber nur auf dem Computer.“
Das muss mein Glückstag sein! Wenn er das Lied nicht spielen kann, dann kann er auch nicht dazu singen und ich habe endlich einen Grund für die Tanzfläche gefunden. Glück kann aber ein mieser Verräter sein. Angelo hörte auf das Mikrofon verbal zu belästigen und tippt etwas in den Computer ein. Meine Stunde ist gekommen. Ich begebe mich langsam Richtung Tanzfläche, um allen zu zeigen, wie man seinen Speck schüttelt. Angelo hatte aber einen anderen Plan. Er dreht die Musik leiser, startet mein Lied und macht Pause. Angelo ist der Typ, den man bekommt, wenn man Eros Ramazzotti auf wish.com bestellt.
Ich bekomme von dieser Arroganz einen so heftigen Lachanfall, dass ich gekrümmt zu Boden gehe. Anstatt Alkohol hat mir heute Angelo den Boden unter den Füßen weggezogen.
© Alexander Heller 2021-11-15