von Eva Wack
Rein. Gleich kommt mir das Gehirn zur Nase raus. Meine Augen tränen und ich fürchte, dass zwischen meiner Nasenwurzel und meiner Stirn ein Regenwurm seine Gänge bohrt. Raus. Ich atme auf, Tränen laufen mir über die Wangen. Eine rothaarige Frau in einer Art Raumanzug reicht mir lächelnd ein Taschentuch. „Geschafft“, sagt sie. „Bitte nehmen Sie noch kurz in der Halle Platz.” Benommen folge ich der Aufforderung und schiebe mir meine weiße Maske wieder über Mund und Nase. Ich trete aus dem weißen Zelt, in dem mir beinahe das Gehirn aus der Nase herausgelaufen wäre und betrete eine Art Wartezimmer.
So leise und so unaufdringlich wie möglich, um nicht die andächtige Wartezimmerruhe zu stören, sage ich „Hallo“. Daraufhin heben sich einige Köpfe, hie und da wird mein Gruß leise erwidert, während der Rest schweigend und mit gesenktem Kopf auf die Bildschirme in der Hand schaut. Ich lasse mich auf einen Plastikstuhl sinken, das Wartezimmer-Ritual ist beendet. Alle zwei oder drei Minuten erscheint eine weitere Frau im Raumanzug und verkündet laut einen Namen, den sie von einem Zettel abliest. Daraufhin erheben sich die Angesprochenen von ihren Plätzen und bekommen von der Frau ein Stück Papier ausgehändigt. Die Erleichterung ist ihnen allen anzusehen, während sie sich bedanken, der Frau einen schönen Tag wünschen und hastig durch die Tür ins Freie verschwinden. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als es ihnen gleichzutun. Ich will nicht hierbleiben, ich will der Frau einen schönen Tag wünschen und verschwinden.
Eine halbe Ewigkeit vergeht, bis ich meinen Namen höre. Erschrocken springe ich auf, schultere meinen Rucksack und stolpere nach vorn zu der Frau im Raumanzug. Ich kann ihren Mund durch die Maske nicht sehen, doch ihre zusammengezogenen Augenbrauen verraten mir, dass sie nicht lächelt. Sie wird mir keinen schönen Tag wünschen. „Wir müssen Sie noch einmal drinnen sprechen.“ Sie deutet zu dem weißen Zelt, in dem ich vor einer Viertelstunde noch ein Stäbchen in die Nase gesteckt bekommen habe. Ich nicke, während mir das Herz in die Hose rutscht. Ich will nur noch raus und aus dem Blickfeld der Wartenden verschwinden.
Ich folge der Frau im Raumanzug zurück zum Zelt. „Vermutlich nur eine Formalität“, beruhige ich mich selbst und trete ein. Vor mir stehen drei Menschen in Raumanzügen, doch sie sind von Kopf bis Fuß vermummt, sodass ich ihre Gesichter nicht sehen kann. Was geht hier vor sich? Noch bevor ich vor Überraschung einen Schritt rückwärts machen kann, klackt es mechanisch und ich spüre einen jähen stechenden Schmerz an der Schulter. Träge wandert mein Blick von der schmerzenden Stelle hin zu den Menschen in Raumanzügen. „Es tut uns sehr leid, doch wir können Sie nicht gehen lassen. Sie sind infiziert und müssen unschädlich gemacht werden.“ Dann wird alles schwarz.
„Einen schönen Tag noch“, drängelt die Stimme und durchbricht meine Gedanken. Ich bin wieder da. Ich nehme den Zettel entgegen und gehe durch die Tür ins Licht.
© Eva Wack 2021-05-01