Angst

Gigi InSilence

von Gigi InSilence

Story

Ich bin zwei Stunden weinend durch den Regen gelaufen, nachdem ich mich mit Conrad zum Musizieren getroffen hatte. Ich gehe gern im Regen spazieren, dann sieht man die Tränen nicht. Ich bin nass bis auf die Knochen, aber schlimmer ist der Regen wohl für meine Gitarre und ich bete, dass die Tasche sie trocken halten wird. Und das Buch mit meinen selbstgeschriebenen Songs, die ich altmodisch auf Papier niedergeschrieben habe.

Conrad hat Musikwissenschaft studiert, arbeitet jetzt als Gitarren- und Gesangslehrer und ich komme mir eher vor wie seine Schülerin als jemand Gleichwertiges, mit der er zusammen Musik machen kann. Ich wage nicht, mir Hoffnung zu machen, dass er wirklich meine Songs mit mir spielen wird, nachdem ich so viele Enttäuschungen hingenommen habe, nachdem ich das Gitarrespielen für mehrere Jahre aufgegeben hatte. Ich wage es nicht zu hoffen, zumal da diese große Angst ist, gegen die ich täglich zu kämpfen habe.

Angst scheint für andere gar kein so großes Thema zu sein. Die machen einfach ihr Ding. Deswegen sind sie auch schon so viel weiter als ich. Aber ich fühle mich täglich wie gelähmt. Mein Leben zieht an mir vorbei. Ich lebe nicht. Ich nutze meine Chancen nicht. Ich habe krasse Angst zu versagen. Ich habe Angst, mich irgendwem zu zeigen. Ich habe Angst, mich selbst zu offenbaren. Ich mache meinen Eltern im Stillen Vorwürfe, dass sie nur gearbeitet haben und es niemanden gegeben hat, der mir als Kind beibringen konnte, Mut zu entwickeln. Und nun sage ich nichts mehr. Und fühle nichts mehr. Es ist einfacher, nicht zu fühlen.

Heute zieht mein Leben immer noch an mir vorbei und ich tue nicht das, wofür ich mich bestimmt fühle. Und wenn ich versuche, Anschluss zu finden, merke ich, wie viel weiter alle sind. Es ist frustrierend. Und dann habe ich Selbstzweifel. Und Angst. Ich will mich zurückziehen. Ich denke, ich bin es nicht wert, dass andere mit mir Musik machen sollten. Ich bin es nicht wert, dass andere meine Musik hören. Aber wer versteht meine Angst? Alle meine Freunde leben ihr Leben, Achtstundentage im Büro oder im Labor. Keiner hat den Traum, sich kreativ zu entfalten. Und die anderen Musiker, die ich treffe, sind in der Musikszene bereits seit ihrer Kindheit etabliert, haben scheinbar keine Ängste mehr, sind auf einem ganz anderen Level als ich. Wer in dieser Welt kann mich verstehen? Ich bin ein Alien. Ich spreche eine andere Sprache. Ich gehöre nicht hierher. Ich will unsichtbar sein.

Um mich herum weint die Welt. Schwere Regentropfen prasseln gegen mein Fenster und Tränen auf mein Handydisplay, während ich diese Zeilen tippe. In der wahren Welt bin ich seit meiner Kindheit eine Ausgestoßene, aber in der Welt der Musik darf ich leben.

© Gigi InSilence 2023-08-02

Genres
Romane & Erzählungen, Biografien
Stimmung
Emotional, Reflektierend, Traurig, Sad
Hashtags