Anna (1)

Gisela Diehl

von Gisela Diehl

Story

Als Anna geboren wird, rechnet niemand damit dass sie einmal eine starke und alte Frau werden wird. Ihr Leben verläuft ganz anders als es ihre Familie vermutet hatte. Man ging davon aus, dass sie niemals heiraten wird, geschweige dann mal Kinder haben würde. Doch es kam alles anders.

Anna ist das sechste Kind ihrer Eltern und kommt mit einer Behinderung zur Welt. In einer Zeit in der die Medizin noch nicht soweit ist wie heute und sehr teuer. Ihre Beine sind unterschiedlich lang, der rechte Fuß ist an den Zehen verkrüppelt. Ihre Beweglichkeit ist beim Laufen eingeschränkt und sie hinkt beim Gehen. Mit dem Älter werden wurde ihre Behinderung immer offensichtlicher und ihr Vater fuhr mit ihr nach Mainz in die Großstadt zu einem Spezialisten der ihr, nach mehreren Untersuchungen, ein paar Schnürschuhen an dem der rechte Absatz etwas erhöht war, empfahl. Diese Schuhe waren zwar teuer und mussten extra angefertigt werden aber schon nach einigen Wochen stellten sich die ersten Erfolge bei Anna ein. Sie hatte wenigere Schmerzen beim Laufen und das Hinken bemerkte man kaum noch.

Ihre Familie lebte von der Landwirtschaft und vom Abbau von Sandstein der, in der Region seit Jahrzehnten zum Häuserbau und Straßenbau gebraucht wurde. Ihr Vater war Steinbruchbesitzer und Arbeitgeber von mehreren Steinmetzen und Steinhauer und deren Familien im Dorf. Bis in die Zeit um 1880 erlebte die Sandsteinindustrie in Rheinhessen ihre Blütezeit.

Doch durch den neuen Baustoff Zement und moderner Technik verlor der Sandstein immer mehr an Bedeutung. Die Betriebe waren bald nicht mehr wettbewerbsfähig und mussten den neuen Arbeitsmethoden weichen. Nach und nach wanderten die entlassenen Steinmetze, Steinhauer Schmiede und die Fuhrleute mit ihren Familien in die Städte ab und suchten sich dort in ähnlichen Berufe oder in der Industrie neue Arbeit. Einige Arbeiter blieben aber auch im Dorf und verdingten sich bei den Bauern als Knecht. Ihre Töchter suchten sich eine Stellung in der Stadt, entweder als Dienstmädchen oder Köchin, oft auf Lebenszeit.

Annas Vater schloss seinen Steinbruch in der Zeit von 1905 bis 1910 in dem er mit seinen drei Söhnen, die als Steinmetz und als Steinhauer bei ihm hart gearbeitet hatten. Er selbst wandte sich seinem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb zu. Seine Söhne blieben im Dorf und arbeiteten in ihren Beruf noch bis zum Ersten Weltkrieg in Steinbrüchen in den Nachbardörfern.

Anna besuchte die Dorfschule und wuchs zu einem hübschen Mädchen heran. Ihre Behinderung störte sie überhaupt nicht und fiel auch nicht mehr groß auf, wenn sie über die Straße lief. Nur das schnelle und lange gehen bereiteten ihr noch Schwierigkeiten. In der Schule lernte sie das Nähen und es wurde zu einer Leidenschaft von ihr. Und genau diese Leidenschaft sollte noch eine große Rolle in ihrem Leben, spielen..

P.S. Die Geschichte von Anna und ihrer Familie wurde mir Mündlich zugetragen.

© Gisela Diehl 2021-09-23

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