Annehmen was ist

Kunstwerk

von Kunstwerk

Story

Wie verdammt hart fühlt sich das an, wenn ich meine Mutter sehe und ihre Verzweiflung Mitansehen muss. Wie hilflos fühle ich mich, wenn meine Mutter mich mit Tränen in den Augen und wutentbrannt anschreit: “Was soll das alles noch? Warum muss ich so leiden?” Ich kann nichts antworten, ich bin einfach nur da und streichle ihr die Hand. “Ach Mama, wir schaffen das schon”, das sind die einzigen Worte, die ich heute über meine Lippen brachte.

Seit 8 Monaten liegt meine Mutter in ihrem Bett und muss sich der Vergänglichkeit hingeben. Das immer weniger werden, der immer schwächer werdende Körper und die Steifheit machen ihr zu schaffen. Heute wollte sie wieder mal einen Spiegel und sah sich gegenüber. “Das bin ich nicht mehr! Ich kenne diese Gestalt im Spiegel nicht mehr!” rief sie wutentbrannt aus sich heraus. Ja, das ist wirklich schwer zu akzeptieren, wenn ich das Foto über ihrem Bett anschaue, wo mich eine wunderschöne Frau anlächelt. Sie wurde immer wieder mit Elisabeth Tayler verglichen. Super charismatisch, gut angezogen, charmant und einfach eine Frau, die viel auf sich hielt.

Nun sieht sie sich als 91-Jährige, vom Leben gezeichnet und geschwächt in ihrem Spiegelbild. Als Tochter auch kein einfacher Anblick. Ich habe gelernt, damit umzugehen. Manchmal gelingt es mir besser, manchmal muss ich einfach weinen – auch neben ihr. Wir müssen uns eingestehen, dass das loslassen und annehmen was ist, verdammt schwer ist. Es macht uns bewusst, dass einfach alles dem Fluss des Lebens unterworfen ist. Menschen, Situationen, die uns wichtig und am Herzen liegen, lassen wir nicht gerne los. Andererseits ist zu lernen, dass es einfach auch wertzuschätzen ist, dass wir dies alles gehabt haben. ABER – es ist einfach nicht einfach!

Nun nütze ich dieses weisse Blatt – diesen Bildschirm, um meinen Emotionen Raum zu geben. Nun nützte ich diese Plattform, um mir die Klarheit zu erlauben, dass es in mir einen ganz verletzlichen Teil gibt, der nicht stark ist, der einfach traurig ist und dem es schwerfällt, dies anzunehmen. Irgendwann werde ich in diese Wohnung kommen und meine Mutter wird nicht mehr da sein. Ich werde unendlich traurig sein und gleichzeitig werde ich mich mit ihr freuen, dass sie es geschafft hat, loszulassen. Ich werde an all den Dingen hängen, die mich an meine Kindheit erinnert hat, an die schöne alte Zeit und gleichzeitig werde ich mich von vielen Dingen verabschieden müssen. Es ist ein stetes loslassen und verabschieden. Momente der Gemeinsamkeit des Glücklichseins, des Weines, des Verabschiedens, des Loslassens des Annehmends. Ja, das ist unser Leben. Alle Emotionen wollen gelebt und durchlebt werden.

Natürlich ist diese schöne Frau am Foto genauso meine Mutter, wie diese zarte, wütende, verzweifelte, traurige, dankbare und weise alte Frau. Vielleicht brauche auch ich als Tochter diesen langsamen Verabschiedungsweg, um mich auch von ihr loszulösen.

Eins weiss ich, ich übe mich mehr im Moment und lasse alle Emotionen zu.

© Kunstwerk 2023-01-11

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