Meine Eltern tanzten Rock’n Roll, dass die Wände erzitterten. Und zwar richtig, nicht so lau wie heute. Das grenzte fast an Akrobatik. Dazu gehörten natürlich die obligatorischen Ringelsocken, Röhrenjeans, flachen Schuhe, die Elvis-Schmachtlocke, das Haargel, der Rossschwanz mit Stirnfransen, die Kirschspangerl, die Tanzbars mit Jukebox, Nierentischen und Soda mit Strohhalm. Damit die Jeans hauteng war, legte sich meine Mama immer in die nasse Badewanne damit.
Man flickte noch per Hand. Da wurde kein Socken weggeschmissen, Strümpfe aus Wolle gestrickt (die Nylondinger der Amerikaner waren sauteuer und hatten so schnell Laufmaschen, die man mit Nagellack zuklebte, damit sie länger hielten), genau wie Mützen, Fäustlinge, Schals – aua, wie die kratzten! Unterwäsche war lang, warm und unansehnlich. Doch dann kam der Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu Strandbikini … der BH mit Körbchen, der Slip seeehr knapp, allerdings nicht für heutige brasilpo- und busengewöhnte Voyeure.
Und wenn meine Mama mal abends beim großväterlichen Kastenradio saß und einfach nur Musik hören oder in Ruhe lesen wollte, fauchte sie die Bisnonna wütend an: „Hast du nichts zu tun, faule Gitschn?!“ Erholung war nicht angesagt, nur Arbeit, Lernen, Pflichten. Und Widerspruch wurde ärgstens bestraft. „Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst, hältst du den Mund und tust, was man dir sagt! Basta!“ Volljährig wurde man erst mit 21.
Nichtsdestotrotz flüchtete meine Großtante oft abends im Tanzkleid durch das Kabinettfenster und drohte meiner Mutter, ja kein Sterbenswörtchen zu verraten. Bald schon kam sie schwanger zurück, woraufhin sie ihre Mutter monatelang nicht ansah und kein Wort mit ihr wechselte. Sie musste heiraten, denn ein lediges Kind – ein Bastard – war auch damals noch, in den beginnenden 60ern, eine Schande. Meine Tante weinte am Morgen ihrer Hochzeit, denn der Vater war ein Hallodri. Die erste Scheidung stand bald ins Haus.
So hatte sich dies meine Mutter nicht vorgestellt, sondern viel romantischer. Was es dann auch war zwischen meinem Papa und ihr. Paps stammte aus einer kinderreichen Familie, die auch in den 60ern ab und an noch Hunger litt, denn meine Oma nahm es mit den Mutterpflichten nicht immer so genau und war mit ihren Männern unterwegs.
Schließlich waren die älteren Geschwister da. Mein Vater war der älteste in Österreich verbliebene Sohn, denn mein Onkel war mit seinem Vater in den 50ern nach Kanada ausgewandert, wo er bis heute lebt. So verkaufte Papa als selbstständiger Altmetallhändler Kupfer und Ausgeboaltes für Essen. Liebevoll sorgte er für seine jüngeren Geschwister. Trotzdem musste mein zweitältester Onkel einmal ein Huhn stehlen. Das kochten die Kinder dann ohne Mama.
Mein Papa hielt zeit seines Lebens eine gut gefüllte Vorratskammer, legte sich einen übervollen Wein- und Bierkeller an und kochte stets wie für eine Großfamilie. Er war der fürsorglichste, naturliebendste Mensch, den ich kannte.
© Dr. Christina Grabner 2020-07-25