Anonym

Story

Als ich Story.one fand, stürzte ich mich nicht kopflos ins Abenteuer, denn das ist nicht meine Art. Die Entscheidung hier zu veröffentlichen, fiel aber mehr oder weniger sofort. Viel schwieriger war es allerdings zu bestimmen, wie ich hier auftreten sollte, denn da gibt es durchaus verschiedene Zugangsweisen.

Ich habe mir nämlich kurz überlegt, mich hier ganz anders zu präsentieren, als in Wirklichkeit bin, wobei ich aber nicht eine erfundene Biografie oder etwas in dieser Richtung meine, sondern eine andere Wesensart, die nicht meinem Charakter entspricht. Ich bin menschenscheu, halte mich gerne beobachtend im Hintergrund, lasse nicht leicht jemanden in mein Leben und fürchte nichts mehr als Verstrickungen in zwischenmenschlichen Bereichen. Mit einem Wort, die hier bei Story.one mögliche Anonymität ist wie für mich geschaffen.

Ich habe aber tatsächlich kurz überlegt, mit meinem vollen Namen, einem möglichst attraktiven Foto, einer ausführlichen Kurzbiografie und der Preisgabe meiner geheimsten Wünsche aufzutreten, so wie es viele hier tun. Dazu hätte es dann gepasst, sich sehr kommunikativ zu geben, mit vielen Leuten Kontakt aufzunehmen und sogar vielleicht manche persönlich kennenzulernen.

Zugleich erschrak ich aber derartig über solch abwegige Gedanken, dass ich fast meinen frisch eingerichteten Account wieder gelöscht hätte. Ich überlegte mir nämlich gerade noch rechtzeitig die Konsequenzen einer solchen Vorgangsweise, die gewissermaßen nicht mehr reversibel gewesen wären, denn was einmal draußen ist, ist draußen und kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden.

Und sollte ich, die ich so viel wert auf meine Privatsphäre lege, mich wirklich derart zur Schau stellen, woraufhin der zaghafte Exhibitionismus, den ich in meinen Storys teilweise durchaus mit Freuden pflege, naturgemäß erheblich eingeschränkt gewesen wäre? Das wollte ich wirklich nicht, denn dann bliebe es notgedrungen bei Storys à la “Mein schönstes Ferienerlebnis”. Mehr würde ich ohne den Mantel der Anonymität sicher niemals wagen. Zur echten Exhibitionistin bin ich nämlich denkbar ungeeignet.

Vor meinem geistigen Auge erschienen zudem Szenarien, wie man meinen Namen googelt oder in Telefonverzeichnissen sucht, obwohl ich nicht weiß, ob und wie oft so etwas hier vorkommt. Ich stellte mir auch vor, dass Bekannte, von denen ich nicht weiß, ob sie Story.one kennen oder gar selbst hier schreiben, meine Storys lesen und dann Dinge von mir wissen, die nicht einmal meine engste Familie ahnt.

Also beließ ich es zunächst bei einem Pseudonym ohne Foto und ohne Biografie, mit der Option das ja jederzeit noch ändern zu können. Inzwischen aber bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass man sich bei einem zu weiten Sprung über den eigenen Schatten hinaus sehr leicht verletzen kann. Ich lebe gerne anonym und daher schreibe ich auch lieber so. Dabei fühle ich mich wohl, es passt viel besser zu mir und so wird es auch bis auf Weiteres bleiben.

© 2022-09-29