Antonia

Sabine Benedukt

von Sabine Benedukt

Story
Im Odenwald 1972 – 1980

Eine sehr warme Erinnerung ist da zu spüren, wenn ich an meine Tante Toni zurückdenke, eine der Schwestern meiner Mutter. Antonia, der Name stand für eine große stattliche Frau, von ihr zur Begrüßung umarmt zu werden fühlte sich immer heimelig und sehr liebevoll an. Die Liebe ging auch durch den Magen. Meine Schulferien in den 70er Jahren im Odenwald rochen nach kräftiger Wurstsuppe, die beim Schlachten entstand. Der hiesige Metzger hatte darin die Würste gekocht und extra ein paar darin aufplatzen lassen, damit sie besonders gut schmeckte. Oder nach Waffel, von der Tante selbstgemacht mit dem dazugehörigen Eisen. Sehr schön und gemütlich war auch die sonntägliche Vesper im Kreise der großen Verwandtschaft. Am späten Nachmittag wurde der Nachmittagskaffee mit der Jause kombiniert. Mit weißer Tischdecke und blau-geblümten Service gedeckt, war der Tisch voll mit Mehlspeisen wie Frankfurter Kranz, Rotwein- oder Käsekuchen, aber auch Leberwurst und Mettwurst. Dazu Selters Wasser und Kaffee, für die Männer auch Bier.

Gegenüber vom Haus war damals schon so eine Art „urban gardening“. Ein großer Garten war unter den Nachbarhäusern aufgeteilt, jeder hatte ein Stück zum Bewirtschaften. Da durfte ich Himbeeren und junge Erbsen naschen. Grüne Bohnen und Bohnenkraut wurden von Mama und Tante gepflückt, und gekochtes Geselchtes mit Kartoffeln dazu gemacht. Das ist heute noch eine meiner Lieblingsspeisen.

Tante Toni betrieb mit ihrem Mann eine Wäscherei. Aber an den Onkel habe ich nur eine schwache Erinnerung, weil er leider sehr früh verstorben ist. Die riesige Waschküche mit großen Kesseln und Waschmaschinen war mir als Kind ein bisschen unheimlich. Es dampfte und rumpelte, denn da wurde geheizt, gewaschen, gestärkt und schließlich gebügelt – dort hieß es gemangelt. Die Wäscherei wurde irgendwann aufgelassen, nur die große Mangel, die blieb. Die umliegenden Pensionen und Gasthäuser brachten große Körbe mit gewaschener Bett- und Tischwäsche zum Bügeln vorbei. Am Mangeltag halfen mehrere Frauen zusammen: Tante Toni, ihre Tochter, die Nachbarin und meine Mutter, wenn wir zu Besuch waren. Zwei Frauen fädelten die großen Wäschestücke gerade und gleichmäßig in die mindestens 3 m lange Mangel ein, die anderen beiden nahmen sie nach dem Durchlaufen der ca. 50 cm dicken Walze am anderen Ende wieder in Empfang. Sie überprüften das Ergebnis, manchmal wurde am Rand gezogen und ein bisschen zurecht geschüttelt und dann legten sie das Lein- oder Tischtuch gemeinsam zusammen, Eck auf Eck, ganz gerade, damit ja keine Falte entstand. Es schien ihnen leicht von der Hand zu gehen, sodass Zeit blieb, die Ereignisse der letzten Woche zu besprechen, oder alte Geschichten zu erzählen und Spaß zu haben. Ich sehe im Rückblick da vier gut gelaunte Frauen die Körbeweise große Wäschestücke ausbreiteten, sie „in die Mangel nahmen“, und am Ende glatt zusammenfalteten, dabei tratschten und lachten. Wahrscheinlich gab es auch ernste oder traurige Themen zu besprechen, und die Arbeit war anstrengend und schweißtreibend, aber in meiner Kindheitserinnerung sind da nur diese starken Frauen, die alles schafften, sich gegenseitig aufmunterten und zusammenstanden.


© Sabine Benedukt 2024-02-24

Genres
Romane & Erzählungen, Biografien
Stimmung
Emotional, Hoffnungsvoll, Informativ, Inspirierend
Hashtags